30. Mai 2016

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Kein Wunder, dass es für ihn klingt, als würde ich unter seinem Bett singen, wenn ich beim Duschen ein Liedchen anstimme.
Im unteren Flur ruft er: „Jeremy? Wo bist du?“
„Hier oben, aber stör mich nicht, ich schlafe!“, rufe ich.
Er rennt die Treppe rauf und betritt wieder mein Zimmer. „Bist du unsichtbar?“, lacht er.
„Ja!“
„Okay, unsichtbarer Mitbewohner. Unten steht Kaffee für dich und Frühstück und solche Sachen. Wäre toll, wenn du in Bewegung kommst. Ich will den Zug um acht erwischen.“
Jetzt ist es Viertel nach sieben. Duschen muss ich nicht mehr, ich bin schon wach, eine Katzenwäsche reicht aus. Wenn ich das Rasieren auf einen anderen Tag verschiebe, müsste es zu schaffen sein.

Miloš schmunzelt vor sich hin, als ich mich am Tisch niederlasse. „Kannst du mir den Trick zeigen, wie man unsichtbar wird?“
„Nein, das bleibt mein Geheimnis.“
„Schade“, macht er heiter.
Ich will auch etwas wissen. „Kann man dich eigentlich nachrüsten?“
„Wie meinst du das, nachrüsten?“
„Na, so insgesamt bist du schon ganz gut gelungen, aber es gibt Verbesserungsbedarf.“
„Sag an.“
„Eine Snooze-Weckfunktion.“
Er lacht. „In welchen zeitlichen Abständen?“
„Zehnminutentakt. Das wäre gut. Und auch so, dass der Wecker leise anfängt. Nicht gleich als erstes mit Deckewegziehen. Meinst du, das kann man einrichten?“
„Wir müssen dringend wieder Musik machen, offenbar hast du nämlich vergessen, mit wem du es hier zu tun hast. Ich bin Bassist, und Bassisten können alles. Um die Frage zu beantworten: Ja, das kann man einrichten.“
„Wie lange wird das ungefähr dauern?“
„Beim nächsten Wecken ist es bereits umprogrammiert. Das ist ein besonderer Service für unsere Stammkundschaft.“

Der Laden des Herrenausstatters van Dunkel in Amsterdam ist keineswegs klein und erlesen. Er sieht aus wie ein ganz normales Klamottengeschäft, mit einem großen Unterschied: auf dem Wartesofa sitzen zwei Frauen. Unterschied Nummer zwei: die überwiegende Menge der Kleidungsstücke ist schwarz, dunkelgrau, nachtblau. Ach ja, Unterschied Nummer drei: die musikalische Untermalung des Einkaufsspaßes erinnert nicht an eine Disco.
Ich folge Miloš, der zielstrebig ins Innere des Geschäftes geht. Dort spricht er einen der Verkäufer an, der uns einen Kollegen zuteilt. Der stellt sich vor: „Guten Tag, mein Name ist Ulric und mein Ziel ist, dass Sie heute als zufriedene Kunden aus dem Geschäft gehen. Was kann ich für Sie tun?“
Wow. So bin ich noch nie in einem Geschäft begrüßt worden. Ich komme nicht dazu, ihm zu erklären, was er für uns tun kann, denn Miloš ist natürlich schneller.
„Wir brauchen einen Anzug für nahezu jeden Anlass. Ich weiß, was ich suche, aber mein Freund ist in solchen Dingen unerfahren. Deswegen stehen Sie besser ihm zur Seite.“
„Ich dachte, du wolltest mich beraten?“, erinnere ich ihn.
„Mach ich ja auch. Aber guck dich doch erst mal um.“
„Na gut. Also, ich bin der Jeremy“, stelle ich mich unserem persönlichen Berater vor. Ich bin ziemlich nervös, weil Miloš ja gesagt hat, dass wir uns keinen Fehltritt leisten können.
„Ulric“, wiederholt er lächelnd. „Kommen Sie mit mir?“

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