30. Mai 2016

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„Wie, lohnen?“, unterbreche ich.
„Lohnen, dich anzugrabbeln. Hübsch, gepflegt, muskulös – so Sachen. Wer aussieht wie der letzte Waldschrat, hat damit keine Probleme. Fergus hatte mich vorgewarnt. Felix zum Beispiel hat mal eine Frau gefeuert, weil sie sich nicht begrabschen lassen wollte. Angeblich verdirbt das die Stimmung auf einer Party.“
Bei Merle war es genauso. Noch einmal entsteht eine Pause, weil ich nicht sicher bin, ob ich weiterreden soll.
„Frag schon“, sagt er.
„Trägst du deswegen beim Kellnern keine Shorts drunter, sondern eine enge Unterhose? Weil die das Geld festhält?“
„Woher weißt du das?“
„Mit welcher Frage hattest du denn jetzt gerechnet?“, schlussfolgere ich aus seiner überraschten Mimik.
„Vergiss es. Bitte. Wie kommst du auf die Frage mit der Shorts?“
„Ich mach die Wäsche, und mir gehören diese Dinger nicht. Vor allem trag ich mein Geld nicht in der Unterhose, wo dann zehn Cent in der kaputten Naht hängen bleiben.“
Jetzt wird er sogar ein bisschen rot. „Ja, das hat diesen Grund. Auch ein Tipp von Fergus. Manche Chefs halten nämlich zu Feierabend die Hand auf und wollen Prozente.“
Was für ein armseliges Geschäft! Mitten in dem ganzen Stress, der Rennerei, Getränke und Essen hin, leeres Geschirr zurück, stundenlang hellwach sein, alles mitkriegen, jeden Sonderwunsch erfüllen, nicht mal Zeit, etwas zu trinken oder zum Klo zu gehen … mittendrin nehmen sich die Leute die Freiheit, meinem besten Freund Kleingeld in die Unterhose zu stecken und schämen sich nicht mal. Stinkreich sein hat vielleicht seinen Preis, aber das untere Ende der Hackordnung ist nicht billiger.
„Themenwechsel. Wann warst du heute morgen hier?“
„Eine halbe Stunde, nachdem du weg warst. Ich habe aber nur knapp vier Stunden geschlafen, dann musste ich schon wieder los.“
„Aha. Immerhin kapiere ich jetzt, was ich heute früh nicht kapiert habe. Ich hab mir extra Mühe gegeben, leise zu sein. Aber ich hätte ja ganz einfach feststellen können, dass du nicht da bist. Kein Schnarchen, kein Miloš.“
„Andere öffnen die Zimmertür und gucken nach.“
„Ich wollte dich aber nicht wecken. Freu dich doch, dass ich so rücksichtsvoll bin.“
„Ich freue mich. Vor allem freue ich mich aufs Essen.“ Er gähnt schon wieder. „Und danach gehe ich pennen.“


hundertdreiundvierzigstes Kapitel

Mein Glück, dass ich gestern nicht allzu spät schlafen gegangen bin, denn die Gute-Laune-Maschine schubst mich schrecklich früh aus dem Land der Träume.
„Geh weg“, nuschele ich ihn an.
„Na los, wir haben heute viel vor!“
„Geh weg.“
Das tut er; leider mitsamt meiner Bettdecke. Warum nur musste ich mir einen Frühaufsteher als WG-Partner aussuchen?! Und warum bin ich so rücksichtsvoll, dass ich nicht einmal seine Zimmertür öffne, weil er noch schlafen könnte, und er ist das genaue Gegenteil?
Es ist zu früh. Ich habe mir gestern den Wecker gestellt und er wird sein Werk in fünfundzwanzig Minuten beginnen. Ich nehme ihn mit und gehe nach nebenan, da gibt es auch ein Bett und es hat sogar eine Decke.
Ich kann allerdings leider nicht so schnell einschlafen wie sich neue Ablenkung bietet.
„Jeremy!“, höre ich die frohgemute Nervensäge kurz darauf auf der Treppe singen. In meinem Zimmer findet er mich natürlich nicht und macht kehrt. Es ist ganz schön hellhörig hier, das war mir nicht bewusst. Keine Minute später höre ich nämlich die Badezimmertür und sein erstauntes „Hä?“

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