30. Mai 2016

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Er zieht das hellgraue T-Shirt mit Firmenaufdruck aus, das mittlerweile einige Brandflecken aufweist und nach Schweiß und anderen Dingen riecht. Mitten in der Tätowierung an seinem rechten Oberarm hat es ihn erwischt. Sehr unangenehm. Backblechkante oder Ofentür, würde ich sagen. „Zieh das wieder an. Außer, du willst länger so bleiben“, weise ich ihn an und gehe in die Küche. Mit einem Löffel Quark komme ich zurück. Er hat schon den Ärmel hochgeschoben und auf der Schulter unter den restlichen Stoff gesteckt. Ich verteile den Quark auf der länglichen Blase.
„Huch“, murmelt er und kriegt sogar eine Gänsehaut.
„Warmer Quark hilft nicht. Wie ist das denn passiert?“
Gähnend berichtet er: „Lale wollte gehen, Peggy kam gerade rein und ich lehne mich zurück, damit sie an mir vorbei kommt. Gegen den Ofen. Das mache ich sonst nie. Ich gehe nach vorne oder nach hinten. Ich war einfach zu müde. Egal“, winkt er ab, „Peggy will deine Telefonnummer haben.“
„Welche Peggy?“
„Meine Kollegin Peggy. Du hast sie gestern gesehen, als du mir gesagt hast, dass ich Toni anrufen soll.“
Ich suche nach Erinnerung in meinem Hirn.
„Blond, kurze Locken, blaue Augen, größer als ich“, hilft er nach und unterstreicht seine Ausführung mit Handbewegungen, die den Körperbau beschreiben.
Stimmt … da war eine Frau, bei der ich noch gedacht habe, dass es nicht Lale sein kann. Auf mehr – also zum Beispiel ihre Oberweite – habe ich nicht geachtet. „Größer als du?“
„Das kommt gelegentlich vor“, schnauft er. „Schließlich wohnen hier ja die längsten Europäer. Komm vorbei, guck sie dir noch einmal an und dann kannst du ihr die Nummer sagen oder es sein lassen.“
Ob ihr klar ist, dass wir zusammen wohnen und dass sie, da sie die Telefonnummer ihres Kollegen hat, mich ganz leicht anrufen könnte? Aber wahrscheinlich geht es um die Flirtgesetze. Man ruft nicht einfach irgendeinen Kerl an, sondern man fragt vorher nach seiner Telefonnummer. Putzig. „Arbeitet ihr morgen zusammen?“
„Nein, aber ich kann dir Bescheid sagen, wenn wir das nächste Mal im Plan stehen. Morgen habe ich frei und wir sind mit Herrenausstatter van Dunkel in Amsterdam verabredet.“
„Da muss man einen Termin machen?!“, frage ich entgeistert.
„Blödsinn“, lacht er. „Aber Herr van Dunkel öffnet sein Geschäft um neun und hat bis neunzehn Uhr auf. In der Zeit ist viel zu schaffen. Wir müssen nur früh genug hin, damit du alles anprobieren kannst.“
„Woher kennst du den van Dunkel? Hast du da schon mal was gekauft?“ Wenn dieser Herr selber auf und zu macht, ist das wohl ein kleines Geschäft. Wären wir in einem Kaufhaus nicht besser aufgehoben, auch preislich?
„Ich habe mich erkundigt, wo man am besten hingeht. Wir wollen ja nicht bloß hin, was kaufen und wieder gehen. Wir brauchen viel Zeit, viele Modelle und auch gerne gute Beratung. Der Anzug soll dir passen wie eine zweite Haut.“
„Ist das nicht ein bisschen übertrieben?“
„Nein. Was dir nicht gefällt, trägst du nicht gerne. Das können wir uns angesichts dieser Preisklasse nicht leisten.“ Er befestigt den T-Shirt-Ärmel neu und verteilt den Quarkfleck anders. „Haben wir eigentlich keine Decke für das Sofa?“
Aha. Mister Themenwechsel ist bei den Grundbedürfnissen angekommen. Laut Merle meine Paradedisziplin. „Frag Mommi, ob sie eine Wolldecke übrig hat, ansonsten kaufen wir eine. Hast du genug gegessen?“
„Nein.“
„Was hättest du denn gerne?“
Er hebt die Schultern.
„Da ist noch Geschnetzeltes im Eisfach. Mit Nudeln, Soße und ohne Gemüse?“(253)
„Au ja“, macht er sehnsüchtig.

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