13. März 2016

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Barenkarspel war früher ein Nest zwischen Zuyderkerk und Hoorn. Durch Neubaugebiete, großflächigen Obst-, Gemüse- und Blumenanbau sowie die Ansiedlung von Industrie ist es inzwischen fast an Zuyderkerk herangewachsen. Man braucht etwa zehn Minuten mit dem Rad von uns zuhause bis ins Zentrum, wo die Einkaufspassage steht und darin Stevens Brotladen. In der Nachbarschaft befinden sich ein Supermarkt und diverse andere kleinere Geschäfte wie ein Frisörsalon, eine Apotheke und so weiter. Im oberen Stockwerk sind Arztpraxen und ein Fitnessstudio untergebracht.
Ich stelle mein Rad auf dem Kundenparkplatz ab und gehe hinein. Seit vor ein paar Jahren renoviert wurde, war ich nicht mehr hier. Ich erkenne nichts wieder. Selbst die Fußböden wurden geändert. Immerhin kann ich der Nase folgen, immer dem frischen Kaffeeduft nach. Der Brotladen hat ja auch ein kleines Stehcafé.
Zwei Kunden sind vor mir dran, eine blonde Frau bedient. Das ist nicht Lale, die türkische Tulpe, soviel steht fest. Jetzt tritt Miloš mit einem Blech ofenheißer Brötchen aus dem hinteren Teil des Ladens. Ich weiß nicht, wie er das macht, es sieht aus, als hätte er sich das Blech auf die Schulter gelegt. Das ist natürlich nicht so, denn da hat er noch nie Brandblasen gehabt.(249) Er sagt ein kurzes Wort zu seiner Kollegin, sie geht einen Schritt beiseite und er kippt die Brötchen in einen großen viereckigen Korb unterhalb des Regals, in dem die Brote liegen. Das sieht alles schon ziemlich eingespielt aus.
Jetzt hat er mich bemerkt, bringt das Blech weg und kommt um die Theke herum. „Hoi“, begrüßt er mich mit Handschlag, denn wir haben uns heute noch nicht gesehen. Er ist früher aufgestanden als ich. „Willst du Brot kaufen?“
„Nein, da kann ich bestimmt abwarten, bis du welches mit nach Hause bringst. Du müsstest mal Toni anrufen. Ein Freund von ihm, der auch ein Catering hat, sucht für heute Abend noch einen Kellner. Irgendwie ist das alles ganz wichtig und teuer.“
„Heute Abend bin ich mit Levian zur Bibelstunde verabredet.“
„Ruf ihn trotzdem an, damit er Bescheid weiß.“ Toni könnte ja selber hingehen, fällt mir dabei ein. Aber wahrscheinlich hat er auch keine Zeit.
„Mache ich. Und du bist nur deswegen hergekommen?“
„Als dein persönlicher Sekretär ist das meine oberste Pflicht, oder? Ach ja, Toni hat mich für morgen eingeladen. Da musst du dir nach Feierabend selbst was zu Essen machen.“
„Ich werde nicht verhungern“, lacht er. Im Laden piepst etwas, „ich muss“, und klopft mir auf die Schulter. Dann schlängelt er sich an Kaffeeautomat und Kollegin vorbei zum Ofen.

Ich bin zuhause kaum an der Tür, als ich höre, wie drinnen das Telefon bimmelt. Bin ich in eine Zeitschleife geraten? Ich hechte zum Apparat und melde mich: „Ja?“
„Miloš hier. Ich werde nicht zur Bibelstunde gehen, sondern nach Alkmaar fahren und Tonis Kollegen bei seinem Event helfen. Das soll so ungefähr bis Mitternacht dauern.“
„Aha. Wie hat er dich überredet?“
„Tja“, macht er und ich höre seine gute Laune, „ich weiß nicht, wie ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann, dass ich die Bibelstunde für so ein profanes Geschäft auslasse … ich bin leider käuflich.“
„Wie viel?“
„Achtzehn.“
„Das klingt nach einem reichen Abend, Toni zahlt ja sonst nur zwölf.“
„Nein, das hast du falsch verstanden. Er zahlt nicht achtzehn, sondern achtzehn mehr.“
„Dreißig Euro pro Stunde?!“ Ich verfalle fast in Schnappatmung. „Musst du unmoralische Dinge tun? Was ist das für ein Event? Und warum ist es Tonis Kumpel so extrem wichtig, seinen Job da zu machen? Krass. Erzähl mir alles, hörst du?“
„Ich wusste, dass du mich verstehen würdest“, lacht er.
„Warum, wer versteht dich nicht?“

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