Eine Kollegin tritt aus dem Lehrerzimmer und bittet mich, Andjo einen Schnellhefter mitzunehmen. Als ich wieder unten bin und das Dokument bei der Mutter abgegeben und den Schnellhefter in Andjos Fach gelegt habe, ist Wiebke aus der Küche verschwunden und mit ihr der ganze Kaffee. Und die Tasse ist auch weg. Das gibt’s doch nicht! Ich setze neuen auf.
Andjo betritt die Küche. „Warum legst du mir den Hefter hin?“
„Fanny hat im Lehrerzimmer gesessen, als ich da war, ich sollte ihn dir geben.“
„Was machst du mitten am Tag im Lehrerzimmer?“
„Ich bin der neue Praktikant, wusstest du das nicht? Grietje schickt mich Kaffee holen, Wiebke schickt mich zum Sekretariat, ich trage Dokumente und Schnellhefter durch die Gegend und so weiter.“
„Meinst du nicht, dass du dafür ein bisschen überqualifiziert bist?“
Wenn das mit der Qualifikation immer so einfach zu fassen wäre!
Zu Feierabend holt Miloš mich erneut ab.
„Was machst du denn schon wieder hier?“, frage ich.
Er grinst. „Ich war bei Steven und habe ein wichtiges Gespräch mit ihm gehabt.“
„Aha. Ich soll dich übrigens von Ingela grüßen, sie vermisst den literarischen Austausch mit dir“, erledige ich das als erstes.
„Wenn du sie wieder triffst, sag ihr … ach, erinnere mich zuhause dran, dass ich dir was für sie mitgebe.“
„Das klingt ja sehr intim.“
„Davon verstehst du nichts, du Bildchenleser.“
Na klar. Da sind wir wieder beim Thema. Ich verabschiede mich bei allen und wir begeben uns auf den Heimweg. „Worum ging es bei dir und Steven?“
„Welches Datum ist heute?“
„Der dritte Februar.“
„Wo wollen wir am zwanzigsten sein?“
„Ähm … bei Onkel Dragis Geburtstagsfeier“, fällt es mir gerade noch rechtzeitig ein.
„Siehst du. Da muss man ja gewisse Vorkehrungen treffen, wenn man keine Winterferien hat. Ich habe vor nicht einmal zwei Wochen an der neuen Stelle angefangen, Urlaub ist zu diesem Zeitpunkt nicht vorgesehen. Also gehe ich zum Chef und erzähle vom Onkel in der alten Heimat, seinem Geburtstag, die Fahrt war lange geplant, man weiß ja nie, wie lange so ein alter Onkel noch lebt und so weiter. Eine rührende Geschichte! Und das beste daran ist, dass niemand den Wahrheitsgehalt prüfen kann. Steven kennt alle diese Märchen, sagt er.“
„Aber Steven kennt auch dich“, fülle ich die Spannungspause, „deswegen glaubt er dir, dass es kein Märchen ist.“
„Jaha“, singt er auf einmal los, „Und stell dir vohor: Mein Urlaub geht vom achtzehnten bis zum dreiundzwanzigsten. Dienstag bis Sonntag. Wir müssen also nicht gleich nach der Ankunft wieder weg.“
„Du freust dich ja erheblich, endlich wieder nach Peckovar zu kommen“, grinse ich.
„Ich freue mich vor allem darüber, dass alles so einfach geklappt hat. Ich habe noch nie so einen guten Chef gehabt wie Steven. Er hat mich danach nämlich auch noch gefragt, ob ich einen Vorschuss auf den Lohn brauche, weil ein Besuch in der alten Heimat unerwartete Ausgaben nach sich ziehen kann. Verstehst du, er hat das Thema drauf gebracht! Ich musste nicht betteln oder eine Verpflichtung unterschreiben, dass ich tatsächlich wieder komme.“
„Und was machst du mit dem Vorschuss?“
„Ich gehe damit zu meinem anderen Chef Toni und erinnere ihn an das Versprechen seiner Versicherung und dann gehe ich zu meiner alten Freundin Amalia und erinnere auch sie an ihr Versprechen und dann“, er macht schon wieder eine Spannungspause, aber diesmal lasse ich sie ihm, denn ich weiß nicht, worauf er hinaus will, „gehe ich zu meinem besten Freund und schleppe ihn zum Herrenausstatter. So ein Aufenthalt in der Fremde ist die beste Gelegenheit, ein völlig neues Kleidungsstück zu tragen, in dem du nicht sicher bist, denn in der Fremde kennt dich keiner.“
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