13. März 2016

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„Als würden sie sich seit Jahren kennen“, schmunzele ich.
„So schnell hat hier lange keiner seinen Platz erobert. Man liest so was ja sonst immer nur in billigen Romanen, dass sich zwei sehen und sofort Freunde sind, aber das scheint es tatsächlich zu geben.“
„Was glaubst du, woher die Romanschreiber ihre Ideen haben? Alles hat sich irgendwo und irgendwie schon mal so oder ganz ähnlich zugetragen.“(245)
„Woher kennst du dich auf einmal mit Romanen aus? Solltest du deine Lesegewohnheiten geändert haben?“
„Nein, ich habe meine Mitbewohnergewohnheiten geändert. Nach meinem Bruder, der nur Computerzeitungen gelesen hat, habe ich jetzt einen Hausgenossen, den man kaum mal ohne Buch antrifft. Und je abgedrehter der Inhalt, desto besser. Da bleibt gelegentlich was hängen.“
„Verleihst du ihn?“
„Wen?“, frage ich verwirrt.
Sie lacht. „Den Hausgenossen. Vielleicht bleibt dann auch bei unseren Jungs was hängen. Deutsche Grammatik zum Beispiel.“
„Großes Pech. Ausgerechnet das ist eine der Sprachen, die er nicht kann“, bedauere ich. „Wobei – frag ihn mal, vielleicht will er auch noch Deutsch lernen. Er kann ja erst vier Sprachen fließend und im restlichen Europa wird er auch irgendwie zurecht kommen.“
Ich weiß nicht, welches Stichwort den Salto in meinem Kopf anstößt, jedenfalls entwickelt einer von Grietjes Sätzen plötzlich ein Eigenleben und echot mir durch die Gehirnwindungen. „So schnell hat hier lange keiner seinen Platz erobert.“
So ist es. Ich muss mir den Platz in der Kirche an der Zwaagse Straat erobern. Na klar bin ich willkommen, aber die Leute stürzen sich nicht auf jeden, der zum ersten Mal da ist – dafür ist die Menge der Gottesdienstbesucher zu groß.
Wie kommt man am besten in eine Gruppe hinein, sofern man nicht in der russischsprachigen Gemeinde mit gutem Willen schlechtes Russisch spricht? Indem man mitarbeitet. In einer kleinen Gruppe ist es viel einfacher, Gemeinsamkeiten zu finden.
Und auf Theodorus werde ich mich nicht mehr verlassen. Zum einen bin ich ein ganz kleines bisschen sauer auf ihn, weil er so kurz angebunden war (er wusste doch, dass ich da niemanden kenne!)(246) und zum anderen suche ich ja Leute in meinem Alter.
In welchem Bereich treffe ich Leute in meinem Alter und könnte noch dazu mitarbeiten? – In der Anbetungsband. – Was der Typ da getrommelt hat, schaffe ich sogar, wenn man mir eine Hand auf den Rücken bindet!
„Du hast mir jetzt nicht zugehört, oder?“, fragt sie.
„Äh, was? Entschuldige, ich war mit den Gedanken woanders.“
„So sah das aus. Geh, hol mir einen Kaffee. Dann sag ich alles noch einmal.“
In der Küche steht schon Wiebke, die drauf wartet, dass der Kaffee durchläuft. Ich stelle eine Tasse für Grietje neben die Maschine. Jemand klingelt an der Tür und sie schickt mich zum Öffnen. Es ist eine Mutter, die ihr Kind abholen will. Sie hat ein Dokument dabei, das im Sekretariat abgestempelt werden muss. Weil das mit dem Kaffee noch einen Moment dauert, laufe ich mit dem Blatt rauf.
Die Sekretärin Ingela seufzt, als sie mich sieht. „Sag Miloš einen herzlichen Gruß von mir. Es ist jammerschade, dass er gekündigt hat.“
„Tu ich.“
Sie sucht den richtigen Stempel, drückt ihn ins blaue Farbkissen, stempelt erst mal zur Probe auf die Schreibtischunterlage, damit es auch wirklich der richtige ist. „Ich vermisse ihn und die intensiven Unterhaltungen mit ihm. Hier interessiert sich niemand für Literatur.“
„Werd ich ausrichten“, verspreche ich. Noch eine, die seltsame Bücher liest!

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