13. März 2016

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„Ich hab auch eine Frage. Du hast mir ja die Bedeutung von meinem Namen gesagt. Wenn ich aber so einen starken Willen habe – warum bin ich dann immer so unsicher, wie Leute über mich denken und bei Entscheidungen und so?“
„Tja“, sagt er. „Wieso bist du so?“
Das war keine Antwort. „Ich mein ja nur. Das passt nicht so richtig zusammen.“
„Stimmt. Es passt nicht richtig zusammen. Warum kommst du mit dieser Frage zu mir?“
„Na ja … weil du Miloš’ Fragen ja auch alle beantwortest.“
„Wer sagt denn so was?“
„Keiner, aber ich hab gedacht … weil … also“, geht dem Satz die Luft aus.
„Jeremy Willem“, sagt er ruhig und guckt mich so an, dass ich mir ganz klein vorkomme.
„Ja“, mache ich und meine Stimme klingt auf einmal auch piepsig.
„Wer bist du in Gottes Augen? Was ist deine Identität? Das ist die Frage, die du dir stellen musst. Und wenn du auf die Frage eine Antwort gefunden hast, stellen sich die anderen gar nicht mehr.“
„Kannst du mich vielleicht noch segnen und so?“
„Ich segne dich im Namen Gottes.“ Er klopft mir zum Abschied die Schulter und geht fort.
Und ich bleibe mitten im Gewimmel stehen und fühle mich leer und einsam und fehl am Platz. Weil mich auch fünf Minuten später noch niemand angesprochen hat, hole ich meine Jacke und gehe zur Bahnstation.
Ich bin so frustriert, als ich im Zug sitze! Das hatte ich mir anders vorgestellt. Die Leute waren zwar nicht unfreundlich, aber keiner hat mit mir geredet. Alle hatten zu tun oder einen Gesprächspartner. Und auch das mit dem Segen hatte ich mir anders vorgestellt. Mehr Worte. Ungefähr so, wie ich die Leute segne. Und überhaupt, das ganze Projekt „neue Kirche finden“ hatte ich mir anders vorgestellt! Ein bisschen erfolgreicher, einfacher, willkommener!
Aber das ist gründlich in die Hose gegangen.

Ich setze mich auf das Sofa mit Beleuchtung, aber lesen will ich nichts. Im Radio gibt es nur Blödsinn, die CDs gefallen mir nicht. Um zehn nach sieben kommt der Mitbewohner heim. Ich raffe mich eilig vom Sofa hoch, damit er es nicht tut.
„Ach, bleib sitzen“, lacht er. „Das war ja nur ein kurzer Arbeitstag. Was hast du gekocht?“
„Nichts, ich war bei Mommi.“ Genau. Den ganzen Nachmittag war ich da. Ich bin gar nicht nach Hoorn gefahren.
„Hm-hm, tjajaja, was esse ich denn?“, singt er vor sich hin, während er in die Küche geht und in die Schränke guckt. „Es gibt übrigens die Möglichkeit, abends das Brot zum halben Preis zu kaufen, also das, was sonst zurück in die Backstube gehen würde. Steven hat es mir gesagt, er ist zwischendurch da gewesen. Es war ja heute mein erster Tag, an dem ich ganz alleine verkauft habe. Wenn das in dein Biobäckerbrotkonzept passt, bringe ich in Zukunft das Brot mit. Wir futtern schon ziemlich viel weg, da könnten wir etwas sparen.“
„Was passiert denn mit dem Brot, das sonst zurück in die Backstube geht?“
„Hm. Weiß ich auch nicht. Ich frage Steven, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.“
„Warum hast du eigentlich so gute Laune?“, wundere ich mich.
„Ich? Gute Laune? Ich bin doch ganz normal?“
„Aber du lachst und singst. Und redest total viel. Und das ganz ohne Verhörlampe.“
„Vielleicht hängt das mit dem Sonntagvormittag zusammen. Es war wunderbar. Die Gruppe ist winzig, es gehen vielleicht dreißig Leute hin, die meisten sind mindestens sechzig Jahre alt. Es gibt auch Familien mit Kindern, aber sehr wenige. Ich habe Levian gefragt, woher die ganzen alten Leute kommen, und er sagt, dass es die Eltern von ehemaligen Saisonarbeitern sind, die sich hier niedergelassen haben und ihre Alten nachgeholt haben. Die Jungen wollen mit Jesus nichts am Hut haben und so kommen nur die Alten. Es fühlt sich seltsam an, auf einmal einer der Jüngsten zu sein. So ganz jung bin ich ja auch nicht mehr.“
„Und wie sind die so? Also davon abgesehen, dass die meisten alt sind.“
„Sehr freundlich, ich habe heute schon drei Einladungen bekommen für den Nachmittag, aber ich konnte leider nicht. Aber nächste Woche Sonntag habe ich frei. Wenn du mitgehst in den Gottesdienst, laden sie dich bestimmt noch dazu ein.“

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