13. März 2016

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„Wenn du seit dem Auftritt in Almere dafür gebetet hast, dass er das tut, dann hast du vermutlich unter großem Druck gestanden. Du hast ja gespürt, dass er schwere Erinnerungen mit sich herumträgt. Nach dem halben Jahr warst du an den Druck gewöhnt. Als er auf einmal weg war, hat das diese starke Reaktion ausgelöst. So könnte ich es mir jedenfalls vorstellen.“
„Hm. Das klingt logisch.“ Ich schaue aus dem Fenster und prüfe in mir drin, ob die Antwort auch wirklich passt. Dabei fällt mir auf: „Da ist noch was, was ich nicht verstehe.“
„Sags mir.“
„Nachdem ich das gesagt hatte, dass ich schon so lange dafür gebetet habe, hat Theodorus mir einen Handkuss gegeben. Aber nicht auf den Handrücken, sondern in die Handfläche.“
„Könnte es eine symbolische Tat gewesen sein?“
„Na klar, vor allem weil es ja die Innenseite der Hand war. Ich habe schon alle Handküsse und Handflächen in der Bibel abgeklappert, aber außer Jesus hatte ja keiner was mit der Handfläche zu tun. Und ich glaube nicht, dass Theodorus mich mit Jesus vergleichen will. Das wäre ein bisschen übertrieben, ich hab ja nur für Miloš gebetet und nichts geopfert. Aber ich komm trotzdem nicht dahinter, was er damit gemeint hat.“
„Tja“, macht sie. „Dann kann ich dir auch nicht helfen.“

Als ich Dienstags nach Hause komme, treffe ich die Nachbarin zur Rechten(234) in ihrer Garageneinfahrt. Sie steht bei ihrem Auto, dessen Kofferraumklappe offen ist.
„Dich schickt der Himmel!“, ruft sie mir entgegen.
„Das hört man gern“, erwidere ich. „Kann ich helfen?“
„Das wäre total lieb. Ich war nach der Arbeit einkaufen und während der Fahrt haben sich die Kisten gegenseitig verkeilt, sodass ich jetzt keine mehr rauskriege.“
Ich bringe das Fahrrad hinters Haus und werfe einen Blick ins Wageninnere. Zwei Klappkisten voller Lebensmittel und ein Bierkasten teilen sich den engen Raum auf optimale Weise. Motiviert ziehe ich an den Griffen, doch es bewegt sich nichts. Das kann aber auch am Gewicht des Inhalts liegen. „Ich würde die Kisten ausräumen und es dann noch mal versuchen. Wenn die nicht mehr so viel wiegen, ist es bestimmt einfacher.“
„Darauf hätte ich selber kommen können“, lacht sie. „Übrigens bin ich die Bibi.“ Sie streckt mir ihre Hand hin.
„Jeremy“, erwidere ich. „Wir wollten uns auch schon seit Neujahr vorstellen, aber entweder hatten wir keine Zeit oder ihr wart nicht da und so weiter.“
Bibi hat eine leere Kiste aus dem Hausflur geholt, balanciert sie auf der Kofferraumkante und packt die Lebensmittel um. „Gott, ist die schwer“, schnauft sie, als sie sie anheben will.
„Lass mich mal“, erbiete ich und übernehme die Plastikgriffe. „Wow. Und die hast du selber ins Auto gehoben?“
„Nein“, lacht sie auf. „Ich habe sie im Auto aufgeklappt und dann eingeladen.“ Mir voraus geht sie ins Haus und lotst mich in die Küche. Als ich die Kiste mit Schwung auf den Tisch wuchte, zischt eine schwarze Katze beleidigt fauchend ins Nebenzimmer.
„Das ist unser Kater. Er liegt gerne auf einem Stuhl unterm Tisch. Da kriegt er alles mit und ist doch unsichtbar. Die Mädchen haben ihn Herr Kater genannt, nicht sehr originell, aber er hört drauf“, erzählt sie. „Ich hoffe, das ist nicht schlimm, dass Vicky euch zu ihren Lieblingsnachbarn auserkoren hat und ständig an eurem Alltag teilhaben will.“
„Nein, sie ist lustig. Die kann ruhig weiter kommen.“
„Wie viel Geld kriegst du von mir für die ganzen Mahlzeiten, die sie bei euch verfuttert?“
„Ich bitte dich! Sie tut uns auch manchen Gefallen, deckt den Tisch oder wäscht zusammen mit Miloš ab, deswegen sind wir quitt.“
„Aber wenn sie frech wird oder euch auf die Nerven geht, schickt ihr sie bitte heim, ja?“
„Tun wir. Auch wenn das bisher nicht nötig war. Apropos essen: kommt doch mal zum Essen. Also nur du und dein Mann. Dann können wir uns ein bisschen besser kennen lernen.“
„Danke, das ist aber lieb!“, freut sie sich. „Und wann dürfen wir kommen?“
„Keine Ahnung. Erfahrungsgemäß trifft man sich nie, wenn man es zu lang im Voraus plant, da kommt immer was dazwischen. Schnell geplant ist schnell getroffen. Sag mal was.“

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