13. März 2016

435

Nach dieser unruhigen Nacht werde ich von Theodorus geweckt.
„Aufstehen, Junge. Es gibt Frühstück.“
Er sieht aus wie immer, als mache es ihm nichts aus, mitten in der Nacht aus dem Bett geholt zu werden und dann eine Stunde oder länger seiner nicht fassbaren Arbeit nachzugehen. „Wie geht’s Miloš?“, will ich wissen und kratze mich am Kinn. Bei nächster Gelegenheit muss ich mal den Rasierer besuchen.
„Schau ihn dir selbst an.“
In der kleinen Küche sitzt mein Freund schon am Tisch und hat einen Becher Kaffee vor sich. Er ist blass im Gesicht, hat rote Augen, seine Stimme ist heiser, aber in seinem Blick ist keine Angst mehr. Er guckt so befreit und friedlich wie damals im Sommer in Workum.
„Du bist wieder gut drauf“, stelle ich erleichtert fest.
„Ja. Danke.“
Danke wofür, will ich fragen, aber da kommt der Gastgeber herein und nach dem Tischgebet fangen wir an zu essen. Miloš langt zu, als wäre er einen Marathon gelaufen.

Irgendwann stelle ich die Frage, die ich mich ungefähr schon seit gestern Abend in Amstelveen beschäftigt. „Was war eigentlich los? Und was habt ihr hier gemacht?“
Theodorus lächelt. „Dein Verdacht mit der geistigen Situation war richtig. Für dich sind solche Orte unangenehm, hindern dich vielleicht am freien Durchatmen–“
„Stimmt“, unterbreche ich unwillkürlich.
„Aber mehr machen sie nicht mit dir. Außerdem kennst du deinen Gott und weißt, dass er stärker ist als alles, was die sichtbare und unsichtbare Welt zu bieten hat. Miloš ist noch nicht so weit. Die Gegenseite hat ihn so stark einschüchtern können, bis er nicht mal mehr sagen konnte, wovor er solche Angst hat. Thomas und ich haben heute Nacht die alten Herrschaftsansprüche zerbrochen. Das war ein harter Kampf. Aber wir haben gesiegt, wir drei. Miloš war sehr tapfer.“
Ein Kampf? Habe ich mir das Geschrei von letzter Nacht vielleicht doch nicht eingebildet?

Nach ein paar stillen Minuten sagt er: „Jeremy Willem.“
„Ja.“
„Habe ich dir schon gesagt, dass du gestern Nacht alles richtig gemacht hast?“
„Ähm … nein“, mache ich skeptisch. Das mit „alles richtig“ kann man auch anders sehen. Wenn ich Miloš gleich nach dem Auftritt hergebracht hätte, wären ihm zwei Stunden Angst erspart geblieben.
Er schaut mich an. „Ihr seid vorher woanders hingefahren und dann sah es aus, als sei es die falsche Entscheidung gewesen und du hast dich schuldig gefühlt. Geschämt hast du dich, weil du die Situation falsch eingeschätzt hast. Dann hast du deinen Freund hierher gebracht. Ich sage dir, ihr hättet hier niemanden angetroffen, wenn ihr direkt gekommen wärt.“
„Oh.“
„Lerne, getroffene Entscheidungen abzuhaken. Akzeptiere, dass du nicht perfekt bist und deswegen keine perfekten Entscheidungen treffen kannst.“ Er nimmt einen kleinen roten Terminkalender, blättert ihn auf und fragt: „Miloš. Was machst du am Dienstagabend?“
„Da ist Bandprobe … aber ich glaube, die kann ich sausen lassen. Ohne Lisanne hat das keinen großen Wert. Um wie viel Uhr?“ Er zückt das zerlesene Heft, das er immer dabei hat und den Bleistift. Der ist kürzer als sein halber Zeigefinger.
„Um acht?“
„Gut.“ Er notiert den Termin.
„Wieso trefft ihr euch?“, frage ich.
Als sei es das normalste der Welt, sagt mein Freund: „Zur Seelsorge.“
„Zur Seelsorge?!“ Kein Boden unter den Füßen. Freier Fall. Alles wirbelt durcheinander und mir schießen die Tränen in die Augen.

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