13. März 2016

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„Jeremy“, höre ich Miloš’ Stimme, zwar als würde er durch eine gelöcherte Konservendose sprechen, aber doch so ruhig, wie er nur sein kann. „Worüber denkst du nach? Machst du dir hunderttausend Gedanken darüber, dass wir uns zu weit aus dem Fenster gelehnt haben? Dass unsere Musik kein Jazz ist? Ob die Leute uns zuhören werden? Dass es ein Fehler war, zuzusagen? Und so weiter, und so fort?“
Ich bin zu überrascht um es abzustreiten. „Wie kannst du das wissen?“
„Steven hat mich gerade überholt. Da konnte ich kurz einen Blick bei euch hineinwerfen und ich dachte, es wäre dringend, dich anzurufen. Hör mir zu. Du hast natürlich recht, unsere Musik ist kein Jazz. Aber dieser van Loo hat uns engagiert, ohne je ein Demo von uns bekommen zu haben. Sein Bruder hat einer Kollegin von seinem Missgeschick erzählt und die hat eine Band aus dem Hut gezaubert. Niemand kann da erwarten, dass wir Jazz spielen. Der van Loo wird uns dankbar sein, weil wir sehr spontan eingesprungen sind. Das ist der erste Punkt. Zweitens bist du nicht allein auf der Bühne. Egal ob du trommelst oder da-da-da singst, wir sind zu dritt. Sollte die Band wirklich ausgelacht werden, trifft es nicht dich alleine. Dann packen wir unseren Krempel ein und fahren sofort wieder nach Hause. Wir bleiben nicht mal auf den Fahrtkosten sitzen, die zahlt der Veranstalter. Gut?“
„Hm“, mache ich leise. „Hast du vielleicht noch einen dritten Punkt?“
„Ja“, sagt er und ich höre ihn lächeln. „Den habe ich. Im Namen von Jesus, ich segne dich mit Mut, ich segne dich mit Begeisterung, ich segne dich mit Freude. Wir werden einen guten Abend haben und ich segne dich damit, den Leuten das Evangelium zu predigen. Und wenn du ihnen dabadaba-schubidu singst, soll es in ihren Ohren klingen wie Engelsgesang.“
„Hört die Merle die ganze Zeit zu?“
„Nein, sie schläft. Reicht dir das als dritter Punkt?“
„Ich glaub schon. Danke.“
„Eins noch.“
„Ja?“
„Hör auf, dich fertig zu machen. Deine Feinde sind meine Feinde, aber wie soll ich dich vor einem Feind beschützen, der du selber bist?“
Hör auf, mich so zu analysieren, denke ich, sage „Ich werds beherzigen, bis später“ und drücke auf das rote Knöpfchen.
„Was habt ihr geredet?“, will Rianna sofort wissen.
„Sei nicht so neugierig“, bremst er seine Tochter aus.


hundertzweiunddreißigstes Kapitel

Ich bin mir nicht schlüssig, was ich vom „van Loo“, wie Perry van Loo seinen Club fantasievoll genannt hat, halten soll, und da rede ich nicht von Äußerlichkeiten. Die Atmosphäre ist sonderbar. Bedrückend. Es ist keineswegs so, dass alle mit Beerdigungsstimmung herumsitzen und in ihr Getränk starren, die Leute sind gut drauf, unterhalten sich und lachen auch. Aber mir ist, als könnte ich nicht frei atmen.
In der letzten Viertelstunde vorm Auftritt verziehen wir uns in den Raum, den wir heute Abend für uns haben. „Okay, Jungs. Warum gehen wir heute auf die Bühne?“, stellt Merle die mittlerweile rituelle Frage, die sonst Lisanne stellt.
„Um einen guten Job zu machen“, antworte ich. „Wir sind für Musik gebucht, also wollen wir Musik machen.“
„Und wenn ein Musikproduzent im Publikum ist und uns einen Plattenvertrag anbietet, wenn wir ab sofort nur noch so Musik machen wie heute, was dann?“
„Dann werden wir uns die Freiheit nicht wegkaufen lassen.“
Ich bete für gutes Gelingen, gegen Verletzungen, bete auch dafür, dass Lisanne ohne uns eine gute Zeit hat und dann gehen wir raus auf die Bühne. Zum Warmwerden sind wir drei Lieder lang jeder auf seinem angestammten Platz, so ist es vereinbart.

Als erstes spielen wir eins der alten Liederheftstücke, das ich mit „Locomotive breath“ von Jethro Tull kombiniert habe. Der überwiegende Teil des Publikums ist alt genug, um das Original zu kennen und geht mit. So war es beabsichtigt.

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