Weil der Transporter nur Platz bietet für drei Personen, Merle aber nicht alleine in ihrem Auto sitzen wollte, hat Miloš sich bereit erklärt, mit ihr zu fahren – unter der Bedingung, dass er ans Steuer darf. Merle ist das recht, denn sie hat mittlerweile festgestellt, dass es angenehm ist, von ihm durch die Gegend gefahren zu werden. Ich habe ja keine Ahnung von solchen Dingen, in meinen Augen fährt fast jeder Mensch gut, aber sie lobt seine Fahrweise als sehr entspannt und entspannend.
Donnerstag und Freitag hat er nur jeweils sechs Stunden gearbeitet, heute und morgen hat er frei, deswegen ist er in wesentlich besserer Form als am Dienstag.
Der freie Platz im Transporter wird sofort neu besetzt. Stevens 13-jährige Tochter Rianna will seit der Helferparty, bei der die Familie unseres Vermieters natürlich auch eingeladen war, zu einem unserer Auftritte mitkommen, aber entweder war den Eltern die Fahrt zu weit, der Auftritt zu spät oder sie haben keine Mitfahrgelegenheit für ihre Älteste gefunden. Heute ist der ideale Tag.
Sie ist bester Stimmung und erzählt in einem Zug Geschichten aus ihrem Leben. Nach kurzer Zeit sperre ich das Geschnatter aus meinem Kopf aus und fülle ihn mit meinen eigenen Gedanken. Ein bisschen mulmig ist mir schon. Wird das Publikum unsere Musik als Jazz anerkennen? Und wenn nicht, werden sie trotzdem zuhören? Wird unser Rotationsmodell funktionieren? Immerhin muss ich keine Sorge haben, dass ich den Text vergessen könnte! Hoffentlich ist für uns auch der ideale Tag.
„Jeremy, was ist los?“, reißt Steven mich aus der Grübelei, als wir schon eine Weile unterwegs sind. „Lampenfieber?“
Ich wackle mit den Schultern. „Ich hatte schon schlimmeres.“
„Papa, was ist Lampenfieber?“
„Das sagt man, wenn einer aufgeregt ist.“
„Und warum heißt das so?“
Ich höre nicht länger zu. Wir werden gleich das erste Mal ohne Lisanne auf der Bühne stehen. Als sie ihren Fuß kaputt hatte, stand es auch auf der Kippe, ob sie mitspielen wird. Damals war ich sicher: es lohne sich nicht, ohne sie aufzutreten. „Wer Donnerdrummel bucht, soll nicht nur Donner…mel bekommen.“ Meine Worte. Was macht uns jetzt so sicher, dass es klappen wird? Miloš ist ja wie üblich finster entschlossen, aber wird das reichen? Was machen wir, wenn die Jazzfreunde unsere Musik nicht gut finden? Ich hätte mich nicht so von Becks Begeisterung mitziehen lassen sollen.
„Da sagt der Kerl einen kurzen Satz und schweigt weiter!“, regt Steven sich lachend auf. „Was glaubst du, wofür ich dich hier mitfahren lasse? Du sollst dieses Kind davon abhalten, mich zu Tode zu quasseln!“
„Ich bin kein Kind“, beschwert Rianna sich prompt.
„Du bist mein Kind“, stellt er das richtig. „Aber du könntest mal ein paar Minuten lang schweigen. Schaffst du das?“
„Schweigen muss ich schon in der Schule immer. Darf ich das Radio anmachen?“
„Ja, mach das Radio an“, seufzt der Vater lächelnd.
„Papa, hier ist eine CD drin.“ Sie zieht die CD aus dem Schlitz, liest den Aufdruck und hält sie mir unter die Nase, „Igitt, was ist denn das für ein Zeug?“
„Es gibt Leute, die hören gerne Heimatlieder. Die hat wohl jemand vergessen.“
„Serienmäßig gibt es das jedenfalls nicht in meinen Autos“, lacht Steven. „Schieb sie wieder rein, dann geht sie nicht verloren.“
Ist es die Instrumentierung, die Musikstile charakterisiert? Ich fürchte, wir haben uns auf einen großen Fehler eingelassen. Rockmusik ist kein Jazz, nur weil man Instrumente tauscht. Wenn man einen Rapper in eine westfriesische Tracht steckt, wird er kein Heimatdichter und seine Musik kein Heimatlied. Auch wenn er seiner Heimat ein Denkmal setzt.
Rianna stupst mich an. „Hier, ist für dich.“ Sie hält mir ein Handy hin.
„Wie, für mich?“
„Nimm es und sprich rein.“
„Ja?“, frage ich aus Gewohnheit.
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