Ich habe in den vergangenen Monaten gelernt, dass man mit einem Akkordeon bei entsprechendem Können jede Musikrichtung bedienen kann, aber diese fünf Lieder verlangen nach dem sägenden und zerrenden Sound einer E-Gitarre.
Die Texte sind zwar mehr als dab-daba-da, aber nicht viel mehr. Es geht darum, dass es nichts besseres gibt als Gott und seinen Heiligen Geist und dass man alle Drogen wegwerfen kann, wenn man mal am Geist gekostet hat, wie Miloš in der Übersetzung wiedergibt. Das ist ungewöhnlich schlicht. Allerdings kann es gut sein, dass die Kometeneinschlagserlebnisse so intensiv waren, dass er einfach keine Worte dafür hat, egal welche Sprache er verwendet.
Die sonstigen Bestandteile der Lieder – Melodie, Rhythmus und Tempo – funktionieren genau wie das Höllenlied. Mitreißend und über alle Sprachgrenzen hinweg verständlich.
Mittlerweile ist eine klare Linie in Miloš’ Liedern zu erkennen. Es gibt die, die er musikwissenschaftlich ausrechnet. Und es gibt die, die ihm der Geist sagt. Die sind wild und unberechenbar, jedes Mal anders und in zweierlei Hinsicht eine Herausforderung für uns übrige: erstens spielerisch und zweitens, weil der Bassist dann auch nicht mehr zu bändigen ist.
In diesen Tagen könnten sich unter mir tatsächlich keine Pölsterchen oder Blasen bilden und auch für Hornhaut bleibt keine Zeit. Der Arbeitsalltag rauscht an mir vorbei, alles geht mir leicht von der Hand, niemand schafft es, sich meinem Schwung in den Weg zu stellen.
Bis zum Montag vor dem Auftritt. Mein werter Freund und Blutsbruder ist bekanntlich immer für eine Überraschung gut, und die hat er durchaus zu bieten, als er mich zu Feierabend in den Räumen der Driehoeken abholt. „Du wirst mich in Zukunft nicht mehr in der Mittagspause sehen“, eröffnet er anstelle einer Begrüßung.
„Ah, du hängst zu viel mit den Feinkostleuten rum und jetzt schmeckt es dir nicht mehr bei uns!“, blödele ich.
Grinsend schüttelt er den Kopf. „Ich habe heute gekündigt.“
Damit habe ich nicht gerechnet. „Erzähl es mir von vorne“, bitte ich und lasse mich auf einem Stuhl nieder.
Er zieht sich einen anderen heran. „Wie du vielleicht weißt, bin ich Ende November mit meinem besten Freund zusammen gezogen. Der ist ein klasse Kerl, lustig und weise und geduldig. Anfang des Jahres hatten wir leider Streit ums Geld. Er zahlt nämlich mehr Miete als ich und Lebensmittel und was man sonst noch so braucht. Ich hatte so wenig Geld, weil ich meinen liebsten Busfahrerjob nicht aufgeben wollte, der mich wegen der zeitlichen Anforderungen aber sehr unflexibel gemacht hat für den übrigen Arbeitsmarkt. Allerdings hatte mir die Schule, für die ich den Bus gefahren habe, zu Anfang viel mehr Jobs versprochen.“
„Wie bist du denn auf die Idee gekommen, mit den Leuten vom Förderverein zu reden?“
„Du wolltest es von vorne wissen, also lass mich ausreden“, rügt er. „Heute Morgen hatte ich beim Duschen einen hellen Moment. Auf einmal war mir klar: es kann so nicht weitergehen, mein Freund hat Recht.“
Ich will mich nicht über seine Formulierung belustigen, weil das ja wieder eine Unterbrechung wäre, aber zu der kommt es trotzdem. Andjo betritt den Raum. „Da habt ihr aber Glück, dass ich noch mal durch alle Räume gegangen bin, ich hätte euch sonst eingesperrt. Unterhaltet euch draußen weiter, ich will nach Hause.“
„Entschuldige, ich wollte dich nicht aufhalten“, sage ich, packe meine Siebensachen zusammen und wir verlassen das Gebäude.
Während des Heimwegs erzählt Miloš weiter: „Nach dem frühen Fahrdienst bin ich zum Vorsitzenden des Fördervereins der Schule gegangen und habe ihn an die Versprechen erinnert. Er wusste von nichts und fand es vermessen, dass ich solche Forderungen stelle.“
„Hat er wirklich vermessen gesagt?“, kann ich diesmal nicht an mich halten.
Er nickt. „Ich kannte das Wort vorher nicht. Ich habe darauf hingewiesen, dass er sich, sofern er sich bis Feierabend nicht erinnert hat, ab morgen einen neuen Busfahrer suchen muss.“
„Uff“, schnaufe ich aus. Das ist ultimativ.
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