Wir versuchen ein paar unserer Klassiker zu spielen, und als Miloš seine Feinmotorik endlich nutzbringend anwendet, entfaltet sich unsere musikalische Entfaltung an ungewohnten Stellen. Weil die Instrumente nicht so viel Raum einnehmen wie sonst, kann Merle ihre Stimme viel weicher einsetzen. Das zweite Mikro nutze ich, um meine alte Akustikgitarre zu verstärken. Auf einmal kommt mir ein Gedanke: Wo ist das Headset? Ich sollte es per Bassistenanordnung behalten, aber ich trage es ja nicht ständig mit mir herum. Ich stelle die Gitarre beiseite und fange an, im Regal zu wühlen.
„Was suchst du?“, erkundigt Merle sich.
Im Regal ist es nicht. Ich setze meine Suche im Schrank fort und finde es schließlich in einer Kiste mit allerhand Krimskrams. Da habe ich es ganz sicher nicht hingelegt, aber egal. „Kann mir mal einer mit dem Teil helfen?“, frage ich in den Raum.
„Oh, Herr Technikmuffel will singen“, grinst Miloš und kommt herüber. Zügig befestigt er die Einzelteile an mir und stellt den Sender ein, als sei zu befürchten, dass ich es mir anders überlege, wenn er länger braucht. Am Mischpult sucht er den Signaleingang. Merle klopft vertretungsweise ein bisschen auf den Trommeln herum, bis die Lautstärke für mich stimmt. „Fertig“, präsentiert er mir. „Womit willst du anfangen?“
„Noch mehr Harmonien. Und dann bestimmt irgendwer ein Lied.“
„Du zum Beispiel“, schlägt Merle vor.
„Okay.“
Weil das mitteltiefe, lang gezogene Ooommmmm beim letzten Mal einen guten Verlauf genommen hat, wähle ich es dieses Mal auch und unterlege es mit etwas Saitengeklimper.
Irgendwann finde ich mich im Höllenlied wieder. Weil mir der serbische Text verschlossen bleibt, begnüge ich mich mit dab-da-da-dab in verschiedenen Varianten.
Ein zweihändig vorgetragener Applaus schließt das Lied ab: Steven steht an der Tür. „Bin ich froh, dass ihr wieder Musik macht!“, sagt er. „Ich hatte ja schon Angst, dass ihr euch getrennt habt! Allerdings müsst ihr mir erklären: wieso habt ihr die Plätze getauscht? Ist das das neue Rotationsmodell, das schon beim Fußball nie richtig klappt? Und wo ist Lisanne?“
„Fußball ist unwichtig für mich“, ergreife ich das Wort, immerhin bin ich ja der Bandchef. „Lisanne war kurz hier, aber ihr geht’s nicht gut, da ist sie wieder heimgefahren. Also müssen wir uns was einfallen lassen, wie wir ohne sie Musik machen können. Am übernächsten Samstag haben wir nämlich den nächsten Auftritt.“(226)
„So ist es recht. Winterpause beenden und gleich wieder ins Geschäft. Sehr schön. Wo geht es diesmal hin?“
„Nach Amstelveen in eine Jazzbar.“
„Jazz?“, fragt er lachend. „Das ist doch kein Jazz, was ihr macht!“
„Nein, aber wir tun so. Warum fragst du, willst du mitkommen?“
„Sehr gerne, das muss ich mir anhören. Ich könnte euch endlich noch mal fahren.“
„Danke für die Hilfe.“
„Bitte, gern. Vielleicht könnt ihr mir auch helfen. Ich suche einen Verkäufer oder eine Verkäuferin für den Brotladen im Einkaufszentrum in Barenkarspel. Seit fünf Jahren arbeitet da die selbe Verkäuferin für mich, eine sehr treue und kompetente Frau. Ende letzten Jahres habe ich sie gefragt, was sie sich für die Arbeit wünscht.“
„Du fragst nach Wünschen?“, wundert Merle sich.
„Natürlich frage ich nach Wünschen. Nicht dauernd und nicht jeden. Aber wenn eine Frau jahrelang mit ihrer zuverlässigen Arbeit mein Unternehmen voranbringt, hat sie mehr verdient als nur Geld.“
„Was hättest du getan, wenn sie sich doppelt so viel Geld gewünscht hätte?“
„Es geht dabei nicht ums Geld, Merle. Verstehst du nicht den Zusammenhang? Wenn meine Leute unzufrieden sind, läuft der Laden schlecht. Wenn es lange schlecht läuft, muss ich Leute entlassen. Filialen dicht machen. Die Bäckerei schließen. Spätestens dann geht euch das was an, weil ihr euch nämlich einen neuen Proberaum suchen müsst. Also kümmere ich mich um die Bedürfnisse meiner Mitarbeiter, bevor es so schlimm kommt.“
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