„Jazz geht auch ohne Akkordeon. Im März bist du im dritten Monat, dann bist du bestimmt wieder fit, da ist ja auch die Hochzeit … und sonst beten wir so lange, bis du fit bist … und danach können wir immer noch überlegen, was wir mit der Band machen.“
Merle hat Zweifel an der Umsetzung. „Willst du also mit Gesang, Bass und Schlagzeug auftreten? Ist das nicht ein bisschen exzentrisch, selbst wenn wir es Jazz nennen?“
„Das ist nicht exzentrisch, sondern düster“, bekunde ich.
„Jeder mittelmäßige Bassist kann genug Gitarre spielen, dass es für eine Band reicht. Falls wir uns irgendwo eine E-Gitarre leihen können, werde ich zwei Basssaiten aufziehen. Becks hat damit geworben, dass wir experimentelle Musik machen. Wenn das nicht experimentell ist, weiß ich es nicht.“
Er wirkt sehr entschlossen, fast grimmig. Die Zeit ohne Auftritt ist ihm schon wieder viel zu lang geworden. Wahrscheinlich hat er mir zuliebe nichts dazu gesagt.
„Können wir uns irgendwo eine E-Gitarre leihen?“, frage ich in die Runde.
Zuversicht kehrt ein bei Merle. „Fragen wir Frieda!“
Frieda und ihr Mann Koen hatten uns ja schon zu den ersten beiden Auftritten viel Equipment geliehen. Bei unserer Helferparty im Oktober habe ich sie kennen gelernt; es sind prachtvolle Menschen, die zeitlebens Musik gemacht haben. In den Siebzigern haben sie mit Deep Purple und Queen auf der Bühne gestanden – Vorprogramm natürlich, aber immerhin! Seit sie sich zu alt fühlen für das immer schneller rotierende Musikgeschäft, genießen sie die Rente und pflegen ihr privates Museum mit lauter Erinnerungsstücken ihres bewegten Lebens. Bestandteil der Sammlung sind auch massenweise Instrumente, die sie zum Teil beschädigt geschenkt bekommen haben und nach der Reparatur verleihen. Die meisten Menschen zahlen dafür Miete. Weil sie Merle schon kennen, seit die ein kleines Mädchen ist, ist das Museum für ihre Band ein Schlaraffenland.
„Machen wir heute Musik?“, frage ich.
„Sorry, Freunde, ohne mich. Ich bin raus.“ Wie zum Beweis gähnt sie.
„Kannst du Zoran fragen, ob er uns fährt, auch wenn du nicht dabei bist?“
„Da muss ich ihn nicht fragen. Er wird es mit Begeisterung tun, sofern er frei hat. Ich sag ihm nachher den Termin, er wird sich melden.“ Sie steht auf und zieht die Jacke wieder an.
„Warte, ich bring dich runter“, sage ich und gehe mit ihr. Im unteren Flur fasse ich ihre Hand und halte sie sachte fest. Auf ihren fragenden Blick erkläre ich: „Ich will euch segnen, dich und das Kind.“
Sie nickt und ich lege meine Rechte auf ihre Stirn und die Linke auf den flachen Bauch. „Ich segne dein Kind mit Gesundheit und optimaler Entwicklung. Es soll ihm an nichts mangeln. Ich segne dich mit Wohlbefinden. Ich segne euch beide damit, dass ihr eine gute Zeit miteinander habt, vor und nach der Geburt. Ich segne dein Kind mit einem fröhlichen Herz.“
„Danke“, sagt sie. „Jeremy, weißt du was, ich mag dich wirklich sehr, genau so, wie du bist. Lass dich von den beiden Realisten da oben nicht unterkriegen, ja?“
Unsere Musik ist weder exzentrisch noch düster ohne das Akkordeon, sondern dürftig, anders kann ich es nicht beschreiben. Besserung tritt erst ein, als ich einen tiefen Eingriff in das Bandgefüge wage. „Leute, das klingt scheiße. Wir müssen es umgekehrt machen.“
„Wie, umgekehrt?“, fragt Merle.
„Du hast doch Rhythmus im Blut, oder?“, wende ich mich an Miloš.
„Das würde ich schon sagen, ja.“
„Gut. Du trommelst heute.“ Ich stehe auf und gebe das Höckerchen frei.
„Und du? Willst du dann etwa den Bass übernehmen?“, fragt er skeptisch.
Das ist nämlich so: er findet, dass ich ihn zu selten an die Trommeln lasse, aber sein Bass ist sein Bass, da geht bitteschön niemand dran. Ich habe mal versucht, ihn zu überreden, und da hat er prompt mit meinem Messerblock argumentiert.
„Keine Sorge. Ich werde Gitarre spielen. Das ist zwar kein Jazz, aber vielleicht wenigstens Musik, die man sich ohne Ohrenschmerzen anhören kann.“
„Darf ich weiter singen oder muss ich ab jetzt auch was anderes tun?“
„In dieser Band muss niemand irgendwas, schließlich machen wir Jazz. Wenn du Triangel spielen willst, halte ich dich nicht auf. Es wäre allerdings von Vorteil, wenn du weiter das tust, was du am besten kannst“, formuliere ich ausführlich.
In dieser veränderten Besetzung versuchen wir erst mal mit ein paar Harmonieübungen auf eine Linie zu kommen. Wir haben kaum begonnen, da bedeute ich Miloš schon, er möge leiser trommeln. Da er alle Gesten konsequent ignoriert, schreie ich ihn schließlich an: „Du sollst weniger Lärm produzieren, verdammt noch mal!“
Er schmeißt die Sticks hin und springt auf. „Wie soll ich leise trommeln? Trommeln ist laut!“, schnauzt er zurück.
„Falsch! Trommeln ist Struktur. Wieso muss ich das ausgerechnet dir erklären?“
„Aber du trommelst genauso laut!“
„Falsch“, schließt Merle sich an, allerdings in moderatem Tonfall. „Jeremy trommelt seit vielen Jahren und hat sich das Feingefühl erarbeitet. Versuch bitte trotzdem, die Schläge feiner zu dosieren. Jeremy hat sonst drei Instrumente als Gegenüber, du hast nur zwei. Noch dazu ist die akustische Gitarre nicht laut genug.“
„Dann muss er eben selber trommeln!“ Er lässt sich so schon ungern reinreden, aber beim Musikmachen akzeptiert er keine Kritik von außen. Er ist Perfektionist, das muss reichen.
„Du kannst leiser trommeln, ich weiß das“, sagt sie freundlich. „Oder wer von euch beiden ist der Feinmotoriker?“
Er brummt etwas serbisches.
„Komm, lass es uns noch einmal probieren“, sagt sie und hebt sogar die Sticks für ihn auf.
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