5. März 2016

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hundertachtundzwanzigstes Kapitel

„Na?“, begrüßt Miloš mich fröhlich, als ich endlich zuhause angekommen bin, „Da hast du ja ganz schön Durcheinander angerichtet.“
„Durcheinander angerichtet? Bei wem? Und womit?“
„Bei deiner Zugbekanntschaft Fraukeline und mir.“ Er genießt meinen ratlosen Blick und erklärt dann: „Ich kann die Mailbox nicht abhören, Frans muss mir noch die PIN geben–“
„Welchen Pinn?“, unterbreche ich.
„Die Geheimnummer. Bis jetzt habe ich immer wieder vergessen, Merle nach seiner neuen Nummer zu fragen. Als ich heute Mittag mein Handy einschaltete und die fremde Nummer im Display war, habe ich die Person natürlich zurück gerufen. Ich hatte schon mehrere Anrufe, die nicht für mich, sondern für Frans waren. Die Frau konnte sich nicht daran erinnern, mich je angerufen zu haben und einen Frans van Wieringen kannte sie auch nicht. Bis wir aufgelöst hatten, wie ihre Nummer auf mein Handy kommt, hat es schon eine Weile gedauert. Allerdings habt ihr euch ja ganz gut unterhalten, sie wusste noch alle wesentlichen Details.“
Mir fallen keine gescheiteren Rückfragen ein: „Wie, alle wesentlichen Details?“
„Wenn mir der Technikmuffel aus meiner Band mitteilen will, dass er bei seinem Kumpel Pieter übernachtet, schränkt das die Auswahl der Personen, die telefoniert haben könnten, schon ziemlich ein, oder?“
„Ich hab ihr aber meinen Namen gesagt.“
„Als ich ihr sagte, dass das nur mein Mitbewohner Jeremy sein könnte, ist er ihr auch wieder eingefallen. Dass du kein Handy hast, hat sie offenbar weit mehr beeindruckt.“
„Habt ihr noch mehr über mich gequatscht?“
Jetzt lacht er. „Das wüsstest du gerne, he?“
„Also ja. Hat sie gesagt, wie sie mich findet? Ich könnte sie noch mal anrufen.“
„Ach, das lass lieber sein. Sie ist schon vergeben, hat sie gesagt.“
„Hast du sie etwa danach gefragt?“
„Na sicher. Man muss das doch nutzen, wenn du sie sogar selber angesprochen hast!“
Aha. Sollte ich mit Merle zusammen kommen und ihn als einzigen Single der Band zurücklassen, ist er dagegen, aber mit einer wildfremden Frau aus dem Zug würde er mich verkuppeln? Interessante Logik! Ich gehe ins Bad, um mein Reisegepäck in den Becher auf der Spiegelablage zu stellen.
„Brauchst du noch etwas zu essen?“, fragt Miloš, als ich wieder im Wohnraum bin.
„Was ist denn da?“
„Toni hatte Rote-Bete-Suppe übrig von der Hochzeitsgesellschaft, die hatte nicht ganz in den Kessel gepasst. Von der haben wir heute Mittag gegessen, aber Fergus wollte keine, deswegen habe ich seine Portion mitgenommen. Er meint, die könnte man nur als Osteuropäer mögen. Vielleicht bist du ja inzwischen auch ein bisschen osteuropäisch geworden, probier sie mal. Dazu kannst du dir ein paar Scheiben Brot rösten.“
„Rote-Bete-Suppe?“ Davon habe ich ja noch nie gehört.
„Das ist eine russische Spezialität. Probier mal.“
Ich bin zugleich skeptisch und neugierig und öffne das hohe Schraubdeckelglas, das er zum Transport genutzt hat. Das intensive, fruchtige Aroma der Roten Bete springt mich förmlich an. Die Neugier überwiegt.(224) Ich fülle einen Suppenteller und will ihn in die Mikrowelle stellen, als Miloš von nebenan ruft: „Nein, die wird kalt gegessen!“
Kalte Suppe? Im Winter? Die Russen sind seltsam, das steht mal fest. Aber nun ja! Andere Völker, andere Sitten! Ich stecke zwei Scheiben Brot in den Toaster und bringe den Teller schon zum Tisch.
„In manchen Regionen wird sie nur zur Hochzeit gegessen. Das Rot symbolisiert die Jungfräulichkeit der Braut und der Klecks saure Sahne oder Buttermilch, den man noch dazu tun kann, steht natürlich für ihre Reinheit“, erklärt er. „Aber egal ob du dran glaubst oder nicht, eine Hochzeit ist keine richtige Hochzeit ohne diese Suppe. Das gehört einfach zusammen.“
„Und, wie war die Hochzeit mit der Suppe?“
„Nein, erzähl erst, wie es Pieter und Becks geht.“

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