5. März 2016

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„Wieso in Alkmaar? Ist er etwa wieder mit Helena zusammen?“, wundert Becks sich.
„Wie kommst du denn darauf?“, wundert Pieter sich jetzt auch. „Das Thema Helena ist gründlich durch.“
„Ich dachte ja nur“, rechtfertigt sie sich und will dann von mir wissen: „Was hat er denn sonst in Alkmaar zu tun?“
„Die Firma, für die er kellnert, die ist in Alkmaar. Merle arbeitet übrigens auch da, aber nicht als Kellnerin. Es ist ein Feinkosthandel mit Catering“, versuche ich möglichst umfassend zu informieren, weil das ja auch mit Werbung zu tun hat. „Merle hat gesagt, dass die Leute, die zum Catering weg sind, manchmal im Büro pennen, wenn es sehr spät geworden ist. Der Chef wohnt oben drüber im Haus und macht ihnen dann Frühstück. Spätstück“, korrigiere ich mich.
„Das klingt ja familiär“, sagt Pieter.
„Ist es auch. Es ist eine kleine Firma, drei Inhaber, eine Angestellte und für die Außeneinsätze ein paar Aushilfen.“
„Ist da nicht mehr drin für Miloš? Der muss doch endlich mal einen Job kriegen, bei dem mehr Geld rumkommt.“
„Zumindest ist er schon so weit, dass der Chef ihm das Du angeboten hat und er in den inneren Kreis der Aushilfen vorgerückt ist.“
„Wie kann ihm der Chef das Du anbieten, wenn es drei Inhaber gibt?“, wundert Pieter sich.
„Einer von den dreien halt. Wahrscheinlich ist er jetzt mit den beiden anderen auch auf du, das wäre ja sonst komisch.“
„Ich hab euch übrigens gestern einen Auftritt organisiert. Meld dich Anfang nächster Woche mal bei Perry … warte, wo hab ich das denn“, sie beginnt, ihre Taschen zu durchsuchen.(222) „Hier!“ Triumphie­rend wedelt sie mit einem knitterigen Papier vor meiner Nase herum.
Ich fange es ein und lese, was darauf steht. „Hotel Evers. Sehr aussagekräftig.“
„Ach, das ist der Falsche.“ Becks sucht weiter und verteilt den Inhalt ihrer Handtasche und dann ihres Rucksacks auf den Arbeitsplatten und übrigen Flächen der Küche. Das Ergebnis lautet: „Mist, er ist weg.“
„Quatsch, ein Zettel verschwindet nicht einfach so, du hast ja kein schwarzes Loch in der Handtasche. Räum das Zeug hier wieder ein und such woanders, wir sind noch nicht fertig mit der Küche“, weise ich sie an.
„Ist eure Winterpause denn schon vorbei?“, will Pieter wissen.
„Ich glaube schon. Wir hatten zwar zuletzt vor Weihnachten Probe und im Moment ist Lisanne krank, aber irgendwann muss die spielfreie Zeit ja aufhören und warum nicht, wenn der nächste Auftritt von selber zu uns kommt? Das ist doch ein guter Anlass, mal wieder anständige Musik zu machen.“
„Auf jeden Fall“, grinst er.

Wir trennen uns schließlich erst am Abend, denn ich mag die beiden herzlich gerne und verbringe viel zu selten Zeit mit ihnen.
Einer der Gründe dafür ist sicher, dass ich einfach nicht der Typ für mehrere gute Freundschaften bin. Ein Freund, das reicht mir. Wenn dieser eine Freund dann nicht mehr viel Zeit für mich hat, weil er, wie in Pieters Fall, eine Freundin findet und das etwas Ernstes ist, hänge ich zwar erst ziemlich in der Luft, aber wenn ich dann einen neuen Freund gefunden habe, verbringe ich meine Zeit mit dem.
Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass ich neben diesem einen Freund keine anderen Menschen um mich haben will, sonst würde ich ja nicht einmal im Monat Cokko besuchen, die Band würde nicht funktionieren und erst recht nicht meine ausgiebigen Treffen mit Merle. Und ich kann auch ältere Freundschaften pflegen, wenn wir nur noch wenig Zeit miteinander haben.
Aber ich bin kein Netzwerker. Das überfordert mich. Dagegen macht es mir nichts aus, jeden Abend die selbe Person zu sehen.
Ich glaube, Miloš ist auch so ein Typ. Er hält zwar mit irre vielen Leuten Kontakt und kann sich ja auch alle Namen merken(223), sodass sich jeder bei ihm wahrgenommen fühlt. Für alles hinter seiner umgänglichen und freundlichen Fassade braucht er aber einen Menschen, auf den er sich fest verlassen kann und dem er auch seine Abgründe zutrauen kann. Einen Blutsbruder. (Wenn ich so drüber nachdenke – ich kann es noch gar nicht richtig fassen, dass ich jetzt auf derselben Stufe stehe wie Milan.)
Deshalb passt er viel besser zu mir als Pieter, der nämlich durch und durch Netzwerker ist. Pieter nimmt sich auch Niederlagen, Vertrauensbrüche und andere Tiefschläge nicht so zu Herzen wie ich. Das erleichtert ihm den Umgang mit vielen Menschen. Man könnte sagen, er ist ein bisschen oberflächlicher als ich, ohne dass das negativ gemeint ist.

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