5. März 2016

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hundertsiebenundzwanzigstes Kapitel

Bis IJmuiden kommt es zu keiner weiteren Begegnung und schöner als die mit Fraukeline könnte eh keine sein, da bin ich sicher. Es macht richtig Spaß, so nette Frauen anzusprechen. Früher hätte ich mich das nicht getraut, dafür war ich zu schüchtern. Vielleicht färbt Miloš ein bisschen auf mich ab, der quatscht ja jeden an.
Als ich endlich bei Pieter angekommen bin, ist es halb zwölf. Weil er mich kennt, hat er Bier kalt gestellt. Außerdem ist wohl klar, dass wir jetzt nicht schlafen gehen!
Ich erfahre, dass Becks in Rotterdam auf einer Art Fortbildung für Freeclimbing-Lehrer ist, die von vorgestern früh bis heute Abend ging und sie dann noch eine Freundin besucht hat, die sie sonst nur sehr selten sieht.
Dann will Pieter alles über die Frau aus dem Zug wissen und erst jetzt fällt mir auf, dass sie mich zwar nach Herzenslust ausgefragt, aber kaum etwas über sich erzählt hat.
„Und du hast nicht mal ihre Telefonnummer!“
Dieses Gespräch entwickelt sich in eine mir gut bekannte Richtung. „Sag’s bitte nicht“, grinse ich.
„Okay, dann sage ich nicht, dass du dir so langsam mal ein Handy anschaffen solltest. Eindeutig gegen ein eigenes Handy spricht ja die Tatsache, dass du nicht mit ihr ins Gespräch gekommen wärst, hättest du eins gehabt.“
„Und das mit der Nummer ist nicht so schlimm: Miloš hat sie. Den hab ich ja angerufen und soweit ich das richtig verstanden habe, speichert das Gerät die Nummer für eine Weile.“
„Das hast du richtig verstanden. Und – wirst du sie anrufen? Sie ist ja ziemlich süß, soweit ich das richtig verstanden habe!“

Die Entscheidungen über Handys und hübsche Zugbekanntschaften werden vertagt, denn auf einmal, so gegen halb zwei, fallen uns beiden wie auf Kommando die Augen zu. Wir sind halt keine zwanzig mehr. Damals konnten wir eine ganze Nacht durchmachen.
Nach dem späten Frühstück begeben wir uns an den von Becks verordneten Hausputz. Gemeinsam ist man erfahrungsgemäß viel schneller fertig und es kann sogar Spaß machen. Alles in allem ist es wie früher. Da haben wir auch oft zusammen geputzt. Bloß die Entfernung zwischen unseren Wohnungen hat sich geändert. Es ist schon ein Unterschied, ob man fünf Minuten mit dem Fahrrad oder über eine Stunde mit der Bahn unterwegs ist.
Um eins geht die Tür auf und Becks steht unerwartet in der Küche.
„Hallo Jeremy, was machst du denn hier?“, fragt sie erstaunt.
„Hallo, schönste Frau der Stadt! Ich helfe meinem alten Freund Pieter beim Aufräumen.“
„Danke für die Blumen – aber er hat dich hoffentlich nicht nur deswegen eingeladen?“
„Dann hätte ich die Freiheit gehabt, ihm abzusagen.“
„Hör mal auf mit meiner Freundin zu flirten“, meldet er sich zu Wort und begrüßt sie mit einem Kuss.
„Ich hoffe, du bleibst länger?“
„Och, eigentlich wollten wir gleich zu mir und da weiter machen“, witzele ich. „Der Ordnungsfanatiker in meiner WG hat vermutlich anderes zu tun als die Wohnung zu schrubben.“
„Wieso, was macht er?“
„Schlafen. Er hat seit ein paar Wochen einen Kellner-Aushilfsjob und gestern musste er zu einer Großfamilienfeier, mit der Ansage, dass es sehr lange dauern könnte. Ich glaube nicht, dass er vor vier nach Hause gekommen ist, wenn er nicht gleich in Alkmaar gepennt hat.“

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