„Weil, also … ich glaub, ich will auch einen haben.“
„Du? Einen Anzug?“ Jetzt strahlt er übers ganze Gesicht.
Da wir ja seit neuestem Brüder sind, würde ich sagen, er guckt mich gerade wie ein stolzer großer Bruder an. Wow. Cokko hat bei unserem ersten gemeinsamen Inselaufenthalt gesagt, dass er gerne einen großen Bruder gehabt hätte, aber wenn man schon auf der Welt ist und kein Bruder vor einem da war, ist das eine biologisch unmögliche Angelegenheit. Aber es gibt Dinge auf der Welt, die stärker sind als Naturgesetze.
„Darf ich dich dann vielleicht in einigen stilistischen Dingen beraten?“
„Ich hoffe, dass du mich in allen stilistischen Dingen berätst!“
„Helena werden die Augen aus dem Kopf fallen, wenn sie dich im Anzug sieht. Sie hat mal gesagt, bei dir muss man nur das Wort Schlips erwähnen und du hörst nicht mehr zu.“
„Ich habe neulich festgestellt, dass es Unterschiede gibt zwischen den Anzügen. Und warum sollte es dann keine Unterschiede zwischen denen geben, die mir nicht gefallen und denen, die mir doch gefallen?“
„Eine sehr vernünftige Frage. Wenn du ein Weilchen beim Herrenausstatter gewesen bist und dir das Angebot angesehen und einige Teile anprobiert hast, wirst du ganz von alleine feststellen, was dir gefällt, was zu dir passt und so weiter. Übrigens solltest du dich vorher bei Amalia melden. Sie hat mir hundert Euro versprochen. Wenn sie mir hundert für einen Anzug gibt, hat sie für dich auch hundert, wenn es um einen Anzug geht.“
„Ist das viel, wenn man einen Anzug kaufen will?“
„Das kommt drauf an, was du haben willst. Ein einigermaßen gutes Set mit zwei oder drei Hemden, zwei Krawatten, Jackett, Hose, Strümpfen und Schuhen kostet um die vierhundert Euro, wenn vielleicht ein Sonderangebot dabei ist. Aber selbstverständlich kannst du auch tausend ausgeben oder noch viel mehr.“
„Beim Schneider zum Beispiel.“
„Nein, mit dem Schneider hat das nichts zu tun. Beim Schneider kannst du auch einen guten Anzug für zweihundert kriegen. Es geht um die Qualität der Stoffe und die Verarbeitung. Und wenn dann noch ein teurer Name dran steht, zahlst du für den natürlich extra.“
„Du wirst also keinen Armani kaufen?“, werfe ich den einzigen Markennamen in den Ring, den ich kenne.
Er grinst. „Nein, Armani werde ich nicht kaufen. Ich hatte mal einen an, er hat mir nicht gefallen. Um Armani wird ein bisschen viel Wind gemacht. Es gibt bessere.“
Ich schnappe nach Luft. „Meinst du das ernst?“
„Lache ich etwa?“, fragt er zurück und lacht jetzt richtig.
hundertsechsundzwanzigstes Kapitel
Endlich Freitag! Feierabend! Wochenende!
Diese Woche hatte es wirklich in sich. Irgendwie ist die erste Woche nach den Ferien immer doppelt so anstrengend wie eine normale Woche. Dazu kommt noch, dass Grietje krank ist, sie hat die Grippe und ist deshalb nach den Weihnachtsferien gar nicht erst in der Schule erschienen. Sie vermutet, dass sie sich die Krankheit bei ihrem Aufenthalt in Norddeutschland eingefangen hat.(220)
Ansonsten hat leider niemand eine Grippe, das heißt, dass alle Kinder da sind und beschäftigt werden wollen. Zum Glück steht mir mit Bernard ein sehr guter Mitarbeiter zur Seite. Je besser wir uns kennen lernen und je mehr ich ihn zu schätzen lerne, desto mehr fürchte ich, dass er im Sommer an eine andere Schule wechselt. Er hat nämlich schon ein paar Mal angemerkt, dass er anderswo mehr Geld verdienen könnte. Ich hoffe, dass die MBB in dieser Frage mit sich reden lässt.
Leider hat mir die Woche auch nicht den erhofften Ausgleich geboten, denn die Bandprobe fiel aus. Lisanne ist krank. Falls sie auch Grippe hat, muss das eine andere Form sein.
Auch der restliche Freitag wird wenig unterhaltsam werden. Miloš ist mit geliehenem Anzug bei einer russischen Hochzeit gebucht (Fergus hat ihn vorgewarnt, dass es bis lange nach Mitternacht gehen kann, denn es ist nicht die erste Feier, die „Tonis delicatessenwinkel“ mit dieser Großfamilie bestreitet) und Merle hat keine Zeit für mich. Cokko ist erst gestern aus Calgary heimgekehrt und ist wegen des Jetlags nicht zurechnungsfähig.
Er hat die Heimreise immer wieder verschoben, weil er noch einmal so einen günstigen Flug erwischen wollte. Der, den er dann schließlich bekommen hat, ist nur vom Preis her günstig gewesen, denn er hat fünfmal umsteigen müssen, dreimal allein innerhalb Kanadas, dann noch auf Island und in London. Selbst für so eine lange Strecke ist das eine Menge.
Aber immerhin ist er ja über drei Wochen zuhause gewesen – also in der Erstheimat, das entschädigt ihn sicher.
Am Sonntag werde ich ihn anrufen und mal nach dem Stand der Dinge fragen. Vielleicht können wir uns dann am nächsten Wochenende sehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen