5. März 2016

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Ich finde mich in der Küche wieder, auf den Fliesen liegend, und meine Füße lagern auf dem Tritt. Ich fürchte, ich hab den feierlichen Moment gründlich versaut.
Miloš kniet neben mir. Erleichterung ist in seinem Blick. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du umkippst, wenn du Blut siehst?“
„Deins hat mir nichts ausgemacht.“
„Ja, aber deins. Das hättest du mir vorher sagen können. Hier, halte das bitte einen Augen­blick selber fest.“ Er gibt mir meine Rechte, um die eine Menge Küchenpapier gewickelt ist. Dann verlässt er den Raum und kehrt mit einer grünen Plastiktasche zurück. Daraus holt er Verbandsmaterial, versorgt erst meine Hand und dann seine.
„Woher haben wir auf einmal Verbandszeug?“, wundere ich mich.
„Ich habe heute in Alkmaar welches gekauft, aber ich hätte nicht gedacht, dass wir es so bald brauchen würden.“
„Was hat sich in Alkmaar ergeben? Oder warst du nicht bei Toni, ähm, Herr Blaakmans?“
„Erst noch was zum Schwur. Willst du, dass ich einen neuen sage? Deiner war viel stärker als meiner.“
„Hä? Warum willst du einen neuen Schwur sagen? Einer reicht doch?“
„Na ja.“ Er wird richtig verlegen, „Du hast mich gesegnet mit guten Sachen und ich habe nur gesagt, deine Feinde, meine Feinde und so. Als wüsste ich gar nichts von Jesus! Das ist ja kein Gleichgewicht.“
„Doch, ist es. Du hast gesagt, ich soll sagen, was mir wichtig ist. Und das hast du auch getan. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie man Leute bis aufs Blut verteidigt. Das kann lange dauern und ziemlich weh tun, schätze ich. Wie ich dich kenne, meinst du das ernst. Also ist dein Schwur genauso viel wert wie meiner. Ich will keinen neuen hören.“ Damit nehme ich die Füße vom Tritt und setze mich auf. Er streckt mir die Linke hin und mit dieser Hilfe ist es ein Klacks, wieder in die Senkrechte zu gelangen.
„Und jetzt zu Herr Blaakmans, der ab heute Toni für mich ist, denn er hat mir das Du angeboten. Er sagt, ich bin tatsächlich versichert für den Arbeitsweg und er kümmert sich drum, dass ich einen neuen Anzug kaufen kann.“ Miloš macht den Herd wieder an und gibt einen Block Schokolade in die heiße Milch. Dann rührt er, damit nichts anbrennt.
Etwas anderes fällt mir ein: „Gehst du eigentlich noch zu Godfried?“
„Nein. Irgendwann im November hat er gesagt, ich solle nun mal alleine versuchen, den Alltag zu verstehen. Bei dringenden Fragen ist er natürlich gerne für mich da, aber wir treffen uns nicht mehr regelmäßig. Warum fragst du?“
„Du wolltest ja Niederländer werden. Wann wird das soweit sein?“
„Ich sage dir rechtzeitig vorher Bescheid.“
„Ja, aber bitte nicht nur einen Tag vorher. Das muss schließlich gefeiert werden.“
„Vor dem vierundzwanzigsten Mai wird es jedenfalls nichts, weil ich fünf Jahre im Land gelebt haben muss, bevor ich mich einbürgern lassen kann. Es wird wohl Anfang Juni sein.“
Na logo, bloß keine Zeit verlieren. „Woher weißt du noch so genau, dass du am vierundzwanzigsten Mai angekommen bist?“
„Als ich mit meiner Mutter bei den Ämtern war, habe ich nachgefragt. Es war ein Freitag.“
„Und dann du wirst der erste Mensch mit drei Staatsangehörigkeiten sein?“
„Wieso drei?“
„Na, Serbe, Bosnier und Niederländer.“
Miloš stößt kopfschüttelnd die Luft aus. „Jeremy: Herkunft, Nationalität! Merk dir das doch bitte mal. Welche Nationalität habe ich jetzt?“
„Du bist Bosnier.“

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