5. März 2016

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Meine Pause ist zu lang geworden. „In den friedlichen Niederlanden macht man das nicht, he? Aber ich bin kein friedlicher Niederländer.“
„Kann denn ein friedlicher Niederländer ein guter Blutsbruder für einen bosnischen Serben sein?“ Uns trennt mehr als die Nationalität, aber ich glaube, insgesamt verbindet uns mehr als was uns trennt.(217)
„Ja. Das kann ein friedlicher Niederländer. Wenn er will.“
„Aber wir haben eben noch furchtbar gestritten!“
„Genau, wir haben furchtbar gestritten, du weißt jetzt, wie ich sein kann. Deswegen frage ich dich jetzt und nicht ohne den Streit. Außerdem haben wir uns versöhnt. So werden wir nie wieder streiten. Und ich habe beim Streiten wichtige Dinge kapiert. Über dich, über mich. Und als ich draußen war, auch. Also frage ich dich, ob du mein Blutsbruder sein willst.“
„Ja, will ich“, gebe ich meine Zustimmung.
„Gib mir ein Messer.“
„Was willst du damit?“
„Blutsbruderschaft ist kein Vertrag auf Papier, den man mit einem Stift unterschreibt.“
„Willst du mich schneiden?!“, frage ich entsetzt.
„Nicht nur dich, sondern uns beide.“
„Ich dachte … ähm, also, ich will.“
„Gut. Gib mir ein Messer.“
„Was für eins?“
„Ein scharfes. Für Fleisch.“
Ich rutsche von der Arbeitsplatte, nehme das Messer aus nicht rostfreiem Stahl aus dem Block und gebe es ihm. Er hat das Heft schon genommen, aber ich lasse nicht los, weil mir etwas eingefallen ist: „Hast du Aids?“
„Nein.“
„Oder Hepatitis?“
„Nein.“
„Oder irgendwas anderes, was ansteckend ist?“
„Nicht dass ich es wüsste. Und du?“
„Auch nicht.“
„Gib es mir“, sagt er geduldig.
„Ich hatte es vorgestern noch auf dem Stein, du weißt, dass es sauscharf ist.“ Nach dieser abschließenden Warnung lasse ich den hölzernen Griff endlich los.
Er fasst meine rechte Hand und schneidet in den Handballen. Der Schmerz ist erträglich, der Anblick meines sofort hervorperlenden Blutes eher nicht. Ich überlege noch, wie ich das auf einigermaßen würdevolle Art vermittle, als er sich auch schon geschnitten hat und mit der Linken meine Rechte mit seiner zusammen geführt hat. Kein Blut mehr zu sehen.
„Mein Bruder Jeremy“, sagt er leise.
Weil ich immer noch auf die Hände gucke, fasst er mein Kinn und hebt meinen Kopf.
„Reicht das da mit dem Blut noch nicht?“, frage ich verwirrt.
„Nein, das reicht noch nicht. Es ist nur die Hälfte. Schau mich an.“ Als ich es tue, spricht er weiter. „Mein Bruder Jeremy, ich schwöre: Niemals werde ich dich verlassen. In Krieg und Frieden will ich an deiner Seite sein. Deine Feinde sind meine Feinde und deine Freunde sind meine Freunde. Ich werde deine Frau achten und deine Kinder schützen und sie alle bis aufs Blut verteidigen. Mein Leben ist nichts wert ohne dein Leben.“
„Ist das ein ritueller Blutsbruderschaftsschwur, muss ich das jetzt auch sagen? Ich bin noch nie Blutsbruder geworden, ich weiß so was nicht.“
„Entspann dich“, lächelt er. „Sei ganz du selbst.“
„Okay, dann sag ich das, was mir wichtig ist, ja?“
„Mach das.“
„Mein Bruder Miloš. Ich will für dich da sein, wenn du mich brauchst. Ich will dir helfen, unseren gemeinsamen Blutsbruder Jesus verstehen zu lernen. Ich segne dich mit Frieden für deine Seele. Ich segne dich mit Heilung für dein Herz. Ich segne dich mit Selbstannahme. Ich segne dich mit einer Arbeit, die du gerne machst und die Geld bringt, damit du nie wieder pleite sein musst. Ich segne dich mit Weisheit für deine nächste Beziehung. Ich segne dich damit, die richtige Frau zu finden und glücklich mit ihr zu sein. Und ich segne dich damit, dass Alkohol und Drogen unwichtig werden für dein Leben.“
Er hält meine Rechte noch fester und zieht mich zu sich.
Ich höre sein Herz klopfen. Irgendwann räuspere ich mich. „Du hast jetzt übrigens nicht nur einen Bruder, sondern sechs.“
„Fünf“, korrigiert er mich.
„Sechs“, korrigiere ich ihn. „Vom jüngsten her sind das: Chris, Bas, Adrien, Cornelius, Jeremy und Milan, der leider nicht mehr lebt.“
„Du zählst ihn mit“, stellt er gerührt fest.
„Schwur ist Schwur.“
„Ihr hättet euch gemocht.“ Jetzt löst er seine Hand von meiner, um zwei Stücke von der Küchenrolle abzureißen.
Ich kann nicht anders als auf das Blut zu gucken. Ich höre mich noch „Davon gehe ich aus“ sagen, dann wird alles schwarz um mich.

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