21. Dezember 2015

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„Voll krass“, schnauft er, „ich habe an einem Abend genauso viel verdient wie in einer durchschnittlichen Woche an der MBB.“
„Wieso, was kriegst du denn da?“
„Fürs Busfahren pro Stunde zehn und beim Hausmeister neun Euro.“
„Zehn?!“ Ich schnappe nach Luft. „Die zahlen dir lächerliche zehn Euro?!“ Busfahren ist doch eine verantwortungsvolle Tätigkeit, die entsprechend entlohnt werden sollte!
„Was glaubst du, was ich bei den anderen Jobs gekriegt habe, als ich noch welche hatte?“
„Sags mir“, bitte ich matt.
„Teilweise fünf Euro oder sechs. Und bei den Yugos war es auch nicht mehr. Daran gemessen sind zehn eine Menge. Vor allem kommen sie zuverlässig, weil ich ja jeden Tag fahre und keine Konkurrenz habe.“
„Aber … der Mindestlohn!“, hoffe ich auf ein rettendes Ufer. „Wir haben doch einen Mindestlohn! Acht Euro fünfundsiebzig oder so.“
Er hebt die Schultern. „Das heißt nicht, dass alles bei dir ankommt. Bei den Jobs früher gab es dann noch Leihgebühr für die Arbeitskleidung, tägliche Fahrt zum Produktionsort, Vermittlungsgebühr und so weiter, je nach dem, bei wem man unter Vertrag war.“
„Aber warum zahlt die MBB auch so schlecht?“
„Sie zahlt nicht schlecht. Außerdem sieht es ja so aus, dass Gott mir einen Job verschafft hat, bei dem ich deutlich über Mindestlohn verdiene. Gott und Merle. Wusstest du, dass die beiden so eng zusammenarbeiten?“


hundertfünfzehntes Kapitel

Gott und Merle sind sehr produktiv. Bereits am Montagmorgen erhält Miloš den nächsten Auftrag zum Kellnern, dieses Mal für Freitagnachmittag bei einer Firmenfeier. Und dieses Mal ruft sie nicht an und gibt einen heißen Insidertipp weiter, sondern telefoniert im Auftrag ihres Chefs.
„Sie hat den Unterschied extra betont“, erzählt er mir in der letzten Mittagspause vor den Weihnachtsferien. „Sie sagt, Herr Blaakmans ist auch in der Galerie gewesen und hat geguckt, wie ich arbeite, ob ich freundlich bin und wie ich mich bewege. Er hat zwar nichts gesagt, aber wenn er unzufrieden gewesen wäre, hätte er ihr keinen neuen Termin für mich genannt.“
„Darf ich mal fragen, worüber du dich jetzt mehr freust? Darüber, dass es mehr Geld gibt für deine Arbeit oder darüber, dass du neue Aufgaben kriegst?“
Kurz denkt er nach. „Es ist beides. Wenn es nämlich das ist, was Gott an größeren Aufgaben für mich bereit hat, weil ich im Kleinen treu war – dann kann es nur gut werden. Auch wenn es anstrengend ist, immer freundlich zu bleiben und den ganzen Abend zu lächeln.“
„Lächeln per Anordnung?“
„Ja. Und versuch das mal, wenn du gerade das Buffet hübsch gerichtet hast und dann fällt so eine Meute von Wölfen drüber her und binnen Sekunden bleibt nur ein Trümmerfeld übrig. Das ist nicht zum Lächeln.“
Welches Buch liest er wohl gerade, dass er solche Worte verwendet? Meute von Wölfen, binnen, Trümmerfeld!
„Fergus hatte mich zum Glück gewarnt. Und dass die Gäste manchmal ziemlich unhöflich sind. Merle hat auch erzählt, dass sie an der vorigen Stelle von einem Gast angegriffen worden ist und sich gewehrt hat und dafür gekündigt wurde. Eigentlich ist das verrückt. Man bringt den Leuten zu Essen und zu Trinken und will, dass es ihnen gut geht – und die benehmen sich so daneben. Aber er sagt, dass diese unkultivierten Gäste deutlich in der Minderzahl sind. Und da fällt es mir wieder ein, du wolltest Herrn Blaakmans sowieso mal wegen den kleinen roten Pastetchen besuchen. Komm vorbei, bring jedem eine Kleinigkeit mit und schon lassen sie dich eintreten in ihren erlauchten Kreis. Etwas, das ich nie schaffen werde.“
„Warum sollte ich schneller Kontakt zu ihnen kriegen als du?“
„Du hättest ihre Gesichter sehen sollen, als ich gesagt habe, dass ich nicht kochen kann! Als käme ich von einem fremden Stern!“
„Na, zum Glück haben sie sich dann ja doch mit dir abgegeben.“
„Ja, da kann ich froh sein.“

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