21. Dezember 2015

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„Nein, glaube ich nicht“, gibt er brummend zu. „Hilf mir bitte.“
„Lässt du sie los?“
Er nickt. „Hast du sie das eben auch alles gefragt?“
„Miloš, darum geht es hier nicht. Helena wollte mein Schweigen, sie hat mein Schweigen. Verstanden? Du hast mich nie danach gefragt, aber du hast auch mein Schweigen. Was du mir sagst, gebe ich nicht an sie weiter.“
Er räuspert sich. „Danke.“
„Bitte. Du lässt also los, dass sie dir weh getan hat?“
Er nickt wieder.
„Und du lässt auch los, dass du sie noch liebst?“
Er nickt noch einmal.
„Dann sag das jetzt selber.“
„Das kann ich nicht. Das ist ja, als würde ich die Zeit mit ihr und die ganzen Gefühle wegwerfen.“
„Du wirfst es nicht weg, sondern du gibst es Gott. Er wird vorsichtig damit umgehen, denn er liebt dich mehr als alles auf der Welt.“
„Aber trotzdem … das fühlt sich ganz … beschissen an.“
„Das denk ich mir. Sprich es mit mir zusammen, ich helfe dir.“
Mühsam kommen ihm die Worte über die Lippen, „Ich lasse Helena los und dass sie mir wehgetan hat und dass ich sie noch liebe. Ich lasse es alles los.“
„In Jesus' Namen, amen!“, schicke ich noch hinterher und lege meine Hand auf sein Herz. Ich wechsele in die anderen Sprachen und spüre Gottes Gegenwart. Als nächstes passieren krasse Dinge. Erst fängt er an zu zittern, wie ein Erdbeben. Dann kippt er um.
Panisch rattert mein Hirn. Erstversorgung! Stabile Seitenlage! Schocklagerung! Herz-Lungen-Massage! Jesus! Hilfe!
Beruhige dich, antwortet er. Es ist nicht schlimm.
Ähm … was ist denn mit ihm los?, will ich verwirrt wissen. Hab ich was falsch gemacht?
Du, mein lieber Freund, hast überhaupt nichts gemacht, und schon gar nichts Falsches.
Das hilft nicht, meine Verwirrung zu entwirren. Und was hast du gemacht?
Ich habe ihn berührt.
Berührt?! Und dann kippt er gleich um?
Er lächelt, so wie man lächelt, wenn man einem begriffsstutzigen Kind etwas erklärt. Ja, so etwas kann vorkommen.
Aber warum bin ich noch nie umgekippt, wenn du mich berührt hast?
Weil ich für ihn mehr Schwung genommen habe als für dich.
Du hast ihn umgehauen?
Wusstest du nicht, dass ich umwerfend bin?


hundertvierzehntes Kapitel

Das Strahlen am Frühstückstisch ist fast nicht auszuhalten, ich verstehe jetzt, warum das Volk Israel in 2.Mose 34,29-35 ihrem Anführer den Tipp mit der Decke gegeben hat. Kommunikation ist nicht möglich, er summt nur vor sich hin, wenn ich etwas zu ihm sage. Wenn ich die Redewendung „besoffen in Christus“ nicht vorher schon einmal gehört hätte, würde ich sie sofort erfinden. Ob er wohl wieder normal wird? Oder ist das sein neuer Normalzustand?
Ich wende mich den Projekten meiner Wohnzimmerschreinerei zu.

Im Laufe des Tages schaffe ich es nach mehrmaligem Besuch im Baumarkt, auch den Tisch auf seine vier Beine zu stellen. So ist es ja immer. Vorher denkt man, man hätte alles da und sei für jede Eventualität ausgerüstet, aber mittendrin im Projekt merkt man erst, wie viele Eventualitäten auftreten können.
Der besondere Clou an dem Tisch ist, dass man mit wenigen Handgriffen und einer überschaubaren Menge Werkzeug Beine und Platte voneinander lösen kann. Eine Weltneuheit, was meine Möbel betrifft! In Zukunft müssen wir nicht mehr die Türrahmen aufstemmen, wenn er mal woanders stehen soll.
Als vorletzten Schritt sauge ich gründlich im Wohnraum, und als letzten trage ich eine erste Schicht Öl auf. Ich hoffe, mein nach wie vor nicht zurechnungsfähiger Mitbewohner patscht nicht als nächstes darauf herum.

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