16. Dezember 2015

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Ich habe mich gerade so richtig vertieft, als das Telefon klingelt.
Bin ich eigentlich zuhause? Muss ich dran gehen? Aber vielleicht ist es Mommi.
„Ja?“, sage ich ins Telefon hinein und werde mit „Hoi Jeremy“ begrüßt.
Die Stimme erkenne ich direkt: „Helena!“
„Ich wollte mal fragen … ist Miloš zuhause?“
„Nein, warum?“
„Kann ich vorbeikommen?“
„Wo bist du denn?“
„In Zuyderkerk.“
„Was machst du am Freitagabend in Zuyderkerk?“
„Frag mich doch alle diese Fragen, wenn ich bei dir in der Küche sitze“, seufzt sie, aber ich höre, dass sie schmunzelt. „Kann ich also vorbeikommen?“
„Ja, komm her. Willst du vielleicht etwas zu Essen mitbringen?“, nutze ich die Gelegenheit, denn ich habe Hunger. Mittags habe ich zuletzt ein paar Butterbrote gehabt.
„Ich könnte bei deinem liebsten Oostindia-Restaurant vorbei fahren und Gebratene Nudeln und so Zeug holen.“
„Das Restaurant hat zugemacht“, klage ich theatralisch, „ein paar Wochen nachdem wir nicht mehr zusammen waren. Ich fürchte, wir waren die einzigen Kunden und danach ist da alles den Bach runter gegangen.“
„Das ist ja eine todtraurige Geschichte“, kichert sie. „Hast du einen anderen Wunsch?“
„Die Geschichte ist noch viel todtrauriger. Ich habe noch kein neues Lieblingsrestaurant gefunden.“
„Ich bewundere dich so, dass du dieses schreckliche Schicksal mit Contenance trägst. Ich schau mal, was ich für uns finde. Bis gleich.“

Nach etwa einer halben Stunde klingelt wieder das Telefon. „Ja?“, sage ich hinein.
„Ich stehe hier unten und schelle mir fast den Finger kaputt, wieso machst du nicht auf?“
„Ähm“, fällt mir auf, „du weißt nicht, dass wir vor zwei Wochen umgezogen sind!“
„Das hättest du mir sagen können, bevor ich bei wildfremden Leuten Sturm klingele! Ein Glück, dass sie heute nicht zuhause sind!“
„Sorry. Die neue Adresse ist Visserdijk 24.“
„Visserdijk? Da ist doch auch die Kaap Hoorn!“
„Stimmt genau. Den Weg kennst du noch, oder?“
„Ganz sicher.“

Es dauert eine weitere Viertelstunde, bis sie verfroren im Hausflur angekommen ist.
„Ein Häuschen nur für euch alleine?“, lästert sie vor jeglicher Begrüßung, „Also, wenn ich nicht wüsste, dass ihr beide hetero bis in die Knochen seid, würde ich denken, dass sich hier zwei schwule Jungs ein Nest bauen. Was sagen denn die Nachbarn dazu?“
„Wenn ich die Nachbarn treffe, reden wir nicht über meine sexuellen Vorlieben, sondern sagen uns artig Guten Tag. Wie gesagt wohnen wir erst zwei Wochen hier, da war noch keine Zeit für offizielle Antrittsbesuche. Willst du erst essen oder erst alles sehen?“, lenke ich ab.
„Vermutlich ist es inzwischen kalt geworden. Wärm es auf, derweil zeigst du mir alles und dann essen wir.“
Ich halte mich fast genau an ihren Plan, denn zuerst hänge ich ihre Jacke auf.
In der Küche fülle ich die zwei Portionen Spaghetti (eine kleine mit Bolognesesoße, eine große con pesto rosso) in Schüsseln und stelle sie zum Erhitzen in den Ofen.
„Ja, also, die Küche“, beginne ich meine Führung vor Ort. „Dieses Haus hat wunderbare Dinge erlebt, denn bis vor einem Monat war hier noch eine Vorratskammer, die Platz geraubt hat und in der Wand war eine Durchreiche. Miloš hat den Vermieter glücklicherweise überzeugen können, dass eine Durchreiche nicht hilft, wenn man eine große Küche haben will. Allerdings wollte er uns auch als Mieter haben, deswegen ist er auf uns zugekommen.“
„Hattet ihr ein Inserat geschaltet?“
„Nein, das ist eine sehr lange Geschichte, die ich dir an einem anderen Tag erzählen kann. So. Hier geht es weiter ins Wohn- und Esszimmer.“
„Da braucht man viel Fantasie. Im Moment sieht es eher aus wie eine Schreinerwerkstatt.“
„Das liegt daran, dass ich rechtzeitig vor den Weihnachtsferien das Holz fürs Bücherregal und den Tisch und den Tresen bekommen habe und mittendrin im Regalbauen kam eine alte Freundin zu Besuch und hielt mich vom Weiterbauen ab. Wenn es fertig ist, wird es so aussehen.“ Ich zeige ihr die Konstruktionszeichnung.

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