16. Dezember 2015

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Erst sehr spät sind wir wieder auf dem Heimweg; Marjorie fährt uns. Mommi wollte nicht früh fahren und so haben wir immer noch eine halbe Stunde dran gehängt und bei den anderen gesessen und geredet und Karten gespielt, und irgendwann war es elf, und da hat Marjorie gesagt, dass sie uns nicht mehr mit dem Zug fahren lässt.
„Gemessen daran, dass du gar nicht wusstest, worüber du mit dem ABC reden solltest, hast du viel mit Ad gequatscht. Worum ging es?“, erkundige ich mich.
„Ach, allerhand. Er versteht zum Beispiel nicht, wie wir miteinander zurecht kommen. Er findet dich seltsam. Als du mit Helena zusammen warst, hat ihn das nicht sehr nachdenklich gemacht, sagt er, Frauen halten viel aus, wenn sie verliebt sind. Eine erstaunliche Lebensweis­heit für einen Siebzehnjährigen! Aber bei mir als Mann fragt er sich, wie das geht.“
„Und was hast du ihm gesagt?“ Vom Beifahrersitz erklingt leises Schnarchen.
„Jeremy, denk nach: Was habe ich ihm wohl gesagt?“
Ich seufze tief. „Meist freundlich, manchmal ziemlich laut?“ Weil er nickt, seufze ich gleich noch einmal, „Au weia. Das wird mich bis an mein Ende verfolgen. Könntest du dich bitte drum kümmern, dass es nicht auf meinem Grabstein steht?“
„Wieso, das ist doch ein cooler Spruch? Viel besser als „wir werden ihn vermissen“ oder diese Stereotypen. Jeder, der da vorbei geht, wird sich denken: Eine herausragende Persönlichkeit, die hier begraben liegt! Und was ist dir lieber, sollen alle heulen bei deiner Beerdigung oder sich freuen?“
„Sich freuen?! Weil ich endlich weg bin oder was? Na super.“
„Du redest Scheiße. Ich werde mich freuen, dass ich dich gekannt habe und dass du mein Freund warst. Wenn dann einer sagt, dass du meist freundlich und manchmal ziemlich laut gewesen bist, wird es mir zwar das Herz brechen, aber ich werde auch lachen können.“
„Ihr habt verrückte Gesprächsthemen“, bemerkt Marjorie von vorne.
„Man muss auch darüber mal gesprochen haben.“
„Siehste, deswegen passt du so gut zu Jeremy. Du verwendest die selben Phrasen wie er.“
„Irgendwo müssen die Ähnlichkeiten zwischen uns sein.“
„Schon wieder eine. Was soll übrigens auf deinem Grabstein stehen? Ich frage nur, damit wir auch dieses Thema erledigt haben.“
„Ich werde meinen letzten Willen schriftlich festhalten, versprochen.“
„Weißt du das etwa noch nicht? Wie kann es sein, dass Jeremy da schon so viel weiter ist? Perfektionisten darf man doch nicht überholen?“, stichelt sie.
„Liebste Marjorie“, fängt er an. „Es ist für mich keine Schande, wenn Jeremy mich überholt. Und über meinen Grabstein habe ich sehr lange nicht nachgedacht, was ich als ein gutes Zeichen werte. Außerdem ist Jeremy nicht weiter in der Frage, sondern er hat ja nur gesagt, was nicht auf seinem Stein stehen soll. Das ist ein wesentlicher Unterschied.“
Weil es wirklich ein verrücktes Thema ist, gehe ich mal lieber dazwischen. „Und ihr habt die ganze Zeit darüber geredet, dass ich seltsam bin?“
„Wir haben auch anderes gefunden, keine Sorge.“
„Und, was?“
Er grinst.
„Sag doch mal.“
„Nein.“
„Hast du Geheimnisse vor mir?“
„Ja.“ Nach kurzem Schweigen fügt er an: „Er hat mich gefragt, ob ich sein großer Bruder sein könnte, da ich ja irgendwie zur Familie gehöre. Aber ich habe ihm gesagt, dass daraus nichts wird. Ich bin in letzter Zeit genug großer Bruder gewesen. Mit fragwürdigem Erfolg.“

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