Für einige Atemzüge schaut er abwesend in die Gegend. „Der zweite Punkt betrifft nicht die Sesshaftigkeit, sondern das, was du gestern auf dem Schiff gesagt hast. Ich habe noch nie so gesund gelebt wie in den letzten vier Monaten. Das würde sofort aufhören, wenn ich wieder unterwegs wäre. Und vor allem: Wenn ich Gesellschaft habe mit Leuten, die saufen, werde ich auch wieder saufen. Schwur hin oder her. Das wird der Anfang von meinem Ende sein. Deswegen kann ich es mir nicht leisten, hier weg zu gehen.“
Puh.
„Der Tag, an dem ich sagte, dass ich ein Jahr lang auf Alkohol verzichten will, war der letzte Tag, an dem du Bier in der Küche hattest. Und das, obwohl du so gerne zum Essen eins trinkst! Ich hätte das nicht verlangt. Aber du hast einfach nichts dazu gesagt. Der Kasten war weg, fertig. Du gehst sogar so weit, dass du kein Bier trinkst, wenn ich dabei bin. Ich weiß nicht, ob dir das klar ist, aber das bedeutet für mich eine riesengroße Erleichterung.“
Doppelt puh. Ich versuche das mal zu entschärfen: „Für mich ist das nicht schlimm, kein Bier im Haus zu haben. Und wenn ich doch mal eins brauche, fahr ich zur Merle.“
„Siehst du. Das zeigt mir, dass du ein echter Freund bist, dass du mein Bestes willst. Es wäre völlig schwachsinnig, hier wegzugehen.“
Sprachlos starre ich ihn an. Mal wieder hat er mich überrumpelt mit seinem Freundschaftsbekenntnis. Die schleichen sich immer so unscheinbar an, aber dann! Leider fällt mir nicht mal ein dummer Spruch ein, um die Stimmung zu lockern.
Zum Glück bemerkt er das gar nicht, denn er guckt auf das Regal, das noch nicht da ist und das seiner Privatbibliothek (die ebenfalls noch keine ist) eine Heimat werden wird.
hundertneuntes Kapitel
Bei Mommis Frühstück bleiben keine Wünsche offen. Es gibt Kaffee, Tee, Saft und Milch, sie hat Brötchen und Brot gekauft und Pfannkuchen gibt es auch. Sie serviert Eier zwischen weich und hart, wir können wählen zwischen hausgemachter Marmelade, Honig, bunten Streuseln, Käse und Wurst und Quark, es gibt Müsli und Cornflakes und Obst.
Die ganze Pracht hat sie auf der großen Arbeitsfläche am Fenster aufgebaut, damit am Tisch noch Platz zum Sitzen und Essen ist.
„Du liebe Zeit!“, entfährt es mir, „Bist du schon um Mitternacht aufgestanden, um das alles vorzubereiten?“ Es ist nämlich noch nicht mal acht Uhr.
„Nein“, lacht sie, „ich wusste ja gestern schon, dass ich euch einladen würde. Da konnte ich vorarbeiten. Außerdem hat Cokko mir geholfen. Jetzt aber an den Tisch, Jungens, ich will beten und dann könnt ihr anfangen.“
Sie dankt für das Essen und die Gemeinschaft, bittet um Bewahrung vor Unfällen und segnet unsere heutigen Aufgaben mit Gelingen.
„Was macht ihr heute?“, fragt sie später, als die gefräßige Stille nicht mehr ganz so still ist.
Miloš hat gerade den Mund leer und zählt auf: „Als erstes müssen wir den Flur streichen in der alten Wohnung. Ich habe gestern Herrn Jolinck angerufen, er kommt mittags zur Wohnungsübergabe. Ich hoffe, du hast alle Schlüssel griffbereit“, wendet er sich an mich. „Dann können wir uns endlich ganz der neuen Wohnung widmen. Das heißt vor allem: Tapezieren, die Küche richtig aufbauen und dann anfangen, die Kartons auszupacken.“
„Kommt Merle?“, fällt Cokko ein.
„Ja, aber erst nachmittags, wenn es mit den Tapeten weiter geht. Zoran hat Nachtschicht und wird bis um zwei schlafen, aber er hat versprochen, er kommt bald danach.“
Mommi fragt: „Lisanne habe ich lange nicht gesehen, was ist los mir ihr?“
Ich hebe die Schultern.
„Habt ihr Streit?“, liefert sie eine mögliche Ursache.
Weiß sie wirklich nichts von der ganzen Angelegenheit? Ich gucke zu Miloš herüber.
„Hat sie noch Probleme mit ihrem Fuß?“, legt Cokko nach.
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