16. Dezember 2015

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„Du hast ja so recht! Wenn man das aufs Jahr hochrechnet, wirst du im nächsten August fünfzehn Kilo zugenommen haben. Und nächstes Jahr–“
Genervt fährt er mich an: „Halts Maul, verdammt!“
„Na hör mal“, beschwere ich mich erstaunt.
„Sorry. Aber echt, Mann. Reicht das nicht, wenn Merle mich den ganzen Tag verarscht?“
Genau so habe ich mir den begeisterten Teilnehmer eines Running Gags vorgestellt.
„Tschuldigung. Merle verarscht dich den ganzen Tag, weil sie glaubt, dass es dir nichts ausmacht. Du gibst ja auch immer Kontra. Wenn es dir nicht gefällt, wie sie mit dir umgeht, musst du ihr das sagen. Thema Gedankenlesen. Und jetzt zum Thema Gewichtszunahme. Du bist an keiner Stelle dick, und du wirst es auch nicht. Noch nie hast du so gesund gelebt wie in den letzten vier Monaten. Du isst viel Obst und Gemüse, du trinkst keinen Alkohol, du rauchst nicht. Du läufst jeden Tag und gehst oft schwimmen, und wo andere Menschen im Auto sitzen, fährst du mit dem Rad.“
„Aber ich habe fünf Kilo zugenommen! In vier Monaten! Das sind die Fakten. Glaubst du, ich will eines Tages aussehen wie meine Mutter?“
Sensibles Thema. „Du liest sie falsch, deine Fakten.“
„Was meinst du damit?“
„Deine Mutter kann nicht kochen, hast du gesagt. Das heißt, du hast da nicht mehr gegessen als zum Sattwerden nötig war. Das ist nicht besonders viel. Und trotzdem hast du auch da schon viel Sport gemacht. Ich sag dir, du bist jetzt nicht fünf Kilo über Normalgewicht, sondern du warst vorher fünf Kilo drunter.“
Das lässt er einen Moment sacken. „Meinst du?“
„Ja. Ist dein drohendes Übergewicht damit dann abgehandelt?“
„Versprochen“, sagt er und kann schon wieder lachen.

Nachdem der Pudding fertig ist, klappe ich zwischen Koje und Stiege den winzigen Tisch auf. Aus dem Schrankfach hole ich zwei Löffel und eine große Tasse sowie ein kleines Müsli­schälchen, die etwa gleich groß sind, und stelle sie darauf. Anschließend verteile ich den heißen Pudding in die Gefäße, soviel hinein passt, der Rest bleibt im Topf. Miloš rückt zur Seite, ich hocke mich neben ihn und nehme den Löffel zur Hand.
„Nicht abnehmen müssen ist wunderbar. Gerade wenn es Pudding gibt.“
Bitteschön, denke ich heiter. Ich helf dir gern.
„Gibt es im Himmel auch Pudding?“
„Ja“, behaupte ich, als wäre ich schon da gewesen und hätte es ausprobiert. „Aber der schmeckt besser. Und man muss hinterher nicht spülen.“
„Das ist wirklich der Himmel“, grinst er.

Später fällt mir ein: „Was war das Lateinische, das du vorhin zu Merle gesagt hast?“
„Nec aspera terrent. Auch Widerwärtigkeiten schrecken nicht. Und das andere, „Per aspera ad astra“ heißt „durch Fährnisse zu den Sternen“. In Prinzip sagt es beides das Gleiche: verlange von mir, was du willst, für dich werde ich es tun.“
„Und, würdest du das echt machen?“
„Wenn sie mich lieb fragt“, grinst er. „Für meine Freunde, das solltest du wissen, ist mir kein Weg zu lang, kein Wasser zu tief und kein Berg zu steil. Und wenn es mit Leiter sein muss, na, dann muss es mit Leiter sein. Irgendwie wird es gehen.“
Mannomann. Kein Weg zu lang, kein Wasser zu tief und kein Berg zu steil. Manchmal redet er wie ein Buch. „Woher kannst du Latein?“
„Ich habe in der Bibliothek ein Buch mit lauter lateinischen Phrasen gefunden, es heißt „Latein für Angeber“. Das ist toll, für jede Gelegenheit gibt es da den passenden Spruch.“
„Und das hast du auswendig gelernt.“
„Ich bin noch nicht ganz durch, aber du hast ja gesehen, es macht mächtig Eindruck.“
„Ich bin nicht sicher, ob sie sich von überhaupt irgendwas beeindrucken lässt.“
„Nach außen, klar. Aber in ihrem Herzen hat sie das schon sehr verwundert. Du solltest das Bassisten-können-alles-Denkmal wieder auf seinen Sockel stellen. Für das bisschen Leiterstehen hat man heutzutage Spezialisten.“

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