15. Dezember 2015

345

hundertsechstes Kapitel

Leider können wir uns jetzt, da alle unsere Sachen in der neuen Wohnung angekommen sind, längst noch nicht mit Auspacken und Einrichten beschäftigen. Wir müssen jetzt erst mal die alte Wohnung renovieren und die Spuren meines annähernd achtjährigen Aufenthaltes beseitigen.(177) Allerdings hat die Immobilie nicht nur unter mir gelitten, sondern auch ganz schön an Wert gewonnen, zumindest wenn man helle Dielenböden im Wohnzimmer mag.
Herr Jolinck wusste zwar, dass ich die Bretter abgeschliffen hatte (ich habe es ihm irgendwann gesagt), aber bei der Besichtigung mit dem Nachmieter hat er sie zum ersten Mal gesehen und war begeistert. Gleich hat er den Nachmieter angewiesen, auf keinen Fall Teppich oder anderen Bodenbelag darauf zu legen, der geklebt werden muss.

Unsere Küche ist inzwischen leer bis auf den Klapptisch, der mit seiner abgeschraubten Halterung an der Wand lehnt und auf bessere Tage wartet.
Miloš hat sich die Arbeit so eingeteilt, dass er außer dem Fahrdienst für die Kinder nichts in der Schule zu tun hat und reißt die alten Tapeten ab. Wir haben vereinbart, dass er schon alle Vorarbeiten erledigt, bis ich Feierabend habe, aber als ich nach Hause komme, staune ich nicht schlecht, denn Schlafzimmer und Bad sind bereits fertig tapeziert.
Merle ist nämlich auch seit dem Morgen da und hat die Leiterkletterei übernommen. Sie sagt, sie hat gerade so viel Zeit, dass sie uns gerne helfen will.
Mein Kumpel nimmt mich beiseite und sagt, laut genug, dass Merle es auch hören kann: „Stell dir vor, sie will mich immer noch nicht massieren. Gemein, oder?“
„Tja“, erwidere ich, „ich find das gut, wenn ich was kriege und du nicht!“
„Du könntest dich stattdessen mal für mich einsetzen!“, beschwert er sich.
„Vielleicht musst du ihr mehr bieten.“
„Was hast du ihr denn am Montagabend geboten?“
„Ihr seid Kindsköpfe“, grinst sie. „Es ist übrigens viel besser geworden.“
„Was?“, fragen wir beide zugleich.
„Das, wofür du gebetet hast.“
„Raffiniert, Bruder“, er titscht seine Faust gegen meinen Oberarm, „du betest für sie und sie gibt dir alles, was du haben willst. Da hätte ich selber drauf kommen können.“
Sie lacht. „Hat dir schon mal einer gesagt, dass du eine blühende Fantasie hast?“
„Nein, aber von dir nehme ich alles an, was nach einem Kompliment klingt.“
„Nimm mal lieber Vernunft an.“
Er fällt vor ihr auf die Knie, „Aus deiner Hand immer!“
„Und wenn ich verlange, dass du für mich auf eine Leiter steigst?“
Mit großer Pose deklamiert er: „Nec aspera terrent.“
„Was soll denn das nun schon wieder Unanständiges heißen?“
„Das ist nicht unanständig, sondern Latein.“
Sie rollt mit den Augen, „Gut, es ist Latein, aber was heißt das?“
Er erhebt sich wieder. „Im übertragenen Sinne bedeutet es per aspera ad astra.“
Ratlos wendet sie sich an mich, „Was redet der da?“
„Ich wusste bis gerade nicht mal, dass er Latein kann.“ Ob sie sich schon den ganzen Tag so verrückt unterhalten? Oder haben sie das erst mit meinem Erscheinen angefangen?

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