Die Bandprobe fällt heute aus, stattdessen helfen alle bei unserem Etappenumzug mit. Fast alles ist jetzt verpackt, die alte Wohnung ist renovierungsbereit bis auf die ehemalige Küche, in der sich die Reste sammeln.
Als wir das zweite Mal im neuen Haus angekommen sind, sehe ich, dass jemand Kartons ins falsche Zimmer gestellt hat. Es sind Kleidungsstücke, die ja in Miloš’ Zimmer gehören. Damit wir nicht mit meinem praktischen System durcheinander geraten, bringe ich sie an ihren Platz, obwohl ich die Kisten ja so selten wie möglich umräumen wollte.
Weil wir nun auch schon in der neuen Kartonsammelstelle schlafen, muss leider wieder Platz gemacht werden für die Betten, was ich nicht eingeplant hatte. Ich schaffe es, die Ordnung einigermaßen aufrecht zu erhalten, auch wenn es unsere Helfer irgendwann nervt, dass ich ihnen für jeden Karton einen besonderen Ort anweise.
Nach dem dritten Transport reicht es mir schon völlig. Viel zu viel ist zu organisieren und ständig werde ich etwas gefragt, muss etwas wissen, jemand möchte Werkzeug (ist im Flur), jemand anderes braucht den Autoschlüssel (frag Miloš) oder den von der Küchentür (weiß ich auch nicht) und so weiter. Außerdem haben sich die Kartons, die ich ja schon einmal wieder nach drüben geschafft habe, erneut in meinem Zimmer eingefunden. Grummelnd lade ich mir einen nach dem anderen auf und verfrachte sie nach nebenan.
Miloš kommt mit einem anderen Karton die Treppe hoch. „Was tust du?“, will er wissen.
Das bringt das Fass meiner Duldsamkeit zum Überlaufen. „Ich stehe auf dem Kopf und lache, was denn sonst?! Interessiert hier irgendwen, was ich tue und sage und will?!“, raste ich aus und schmeiße ihm den Karton vor die Füße. „Irgendwer hat mein System nicht kapiert und stellt mir ständig diese Kartons ins Zimmer, obwohl die ja in deins gehören! Also räum ich sie wieder zurück! Ist dir das vielleicht auch alles egal, was ich sage?“
„Jeremy“, sagt er ruhig.
„Ich hasse Umzüge!“
„Du bist ja total durch.“ Er parkt seinen Karton auf den Treppenabsatz und stellt den anderen oben drauf. Dann nimmt er mich bei den Schultern, führt mich in mein Zimmer und drückt mich aufs Bett. Dabei will er wissen: „Wann hast du zuletzt gegessen?“
So schnell mir der Deckel hochgeflogen ist, so schnell kommt er auch wieder runter. „Weiß ich nicht mehr“, murmele ich zerknirscht.(176)
„Dann ist es zu lange her. Ich bringe dir etwas. Süß oder salzig?“
„Weiß ich auch nicht. Irgendwas.“
Er verlässt das Zimmer und kommt wenige Minuten später wieder. In der einen Hand hat er die Thermoskanne nebst Tasse, in der anderen einen Teller mit Mommis Nudelsalat und zwei heißen Vegi-Brühwürstchen. Er baut mir einen Tisch aus zwei Kartons und sagt: „Iss das auf, aber lass dir bitte Zeit. Und dann bleibst du so lange hier, bis ich wiederkomme, ja? Du musst dich jetzt ausruhen.“
Mir ist nie vorher aufgefallen, wie sanft seine Stimme klingen kann. „Aber die Kartons?“
„Die Kartons, die du zum zweiten Mal nach drüben bringst? Die habe ich schon zweimal zu dir ins Zimmer gebracht. Es sind doch fast alles deine Sachen. Warum legst du sie nicht schon in die Fächer?“
„Weil wir doch erst alles umräumen wollten und dann auspacken.“
„Lass dein System los, es ist unpraktisch. Weißt du noch bei Pieters Umzug? Irgendwann hast du ihm Hausverbot erteilt, weil er geglaubt hat, ohne ihn geht die Welt unter und dabei hat er nur alle wuschig gemacht mit seinen guten Tipps, die niemand brauchte. Wenn du so weiter machst, bist du der nächste, dem Hausverbot erteilt wird.“
„Von dir?“
„Nein, nicht von mir. Da unten hat sich eine Koalition der Willigen zusammengerottet. Bleib also ein Weilchen hier oben, ich will keinen Streit.“ Er geht zur Tür, dreht sich da aber noch mal um. „Alles gut?“, fragt er.
In mir ist plötzlich ein Gefühlsüberschwang, der raus will, deswegen nicke ich nur und lade mir eine Gabelportion Nudelsalat in den Mund.
Helena konnte nie unterscheiden, ob ich grundlos grantig oder unterzuckert bin. Und sie war sechs Jahre ganz nah an meiner Seite! Sie hätte mir nie was zu Essen gebracht, sondern mich angeraunzt, dass ich mich zusammenreißen soll. Wieso kann er mich nach nicht mal einem Jahr bereits so viel besser einschätzen und weiß, was wann zu tun ist und liegt damit auch noch genau richtig und kann es mir so servieren, dass ich mich trotz allem ernst genommen fühle? Und wieso kann er um mich so besorgt sein, wenn er die eigenen Gefühle immer eiskalt wegsperrt?
Auf einmal beneide ich Milan um die fast zehn Jahre, die sie miteinander hatten.
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