15. Dezember 2015

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Kurz darauf bringt er zwei Portionen Nachtisch. „Reg dich jetzt bitte nicht auf, das zweite hat Emina mir geschenkt. Emina ist die mit dem langen schwarzen Zopf.“
„Die ist mir schon ein paar Mal aufgefallen“, sage ich und fange an zu löffeln. „Auch eine Yugo, oder?“ Weil er nickt, rede ich weiter: „Stell sie mir mal vor.“
„Lass die Finger von ihr, sie ist Bosnierin.“
Bitte was?! Habe ich mich verhört? Hat der Herr Völkerverständiger mir gerade abgeraten, mich in eine Frau zu vergucken, weil sie aus Bosnien kommt?!
„Warum starrst du mich so an?“
„Warum soll ich die Finger von ihr lassen?“
„Weil sie Bosnierin ist. Das habe ich doch gesagt.“
„Du bist auch Bosnier.“
„Nein, ich bin Serbe.“
Oh großer Gott im Himmel, jetzt geht das wieder los. Ich dachte, ich hätte es begriffen. Also noch mal von vorn. „Du bist Serbe und kommst aus Bosnien. Der halben Welt sagst du, dass du Bosnier bist, weil das angeblich alles viel leichter macht. Warum soll ich die Finger von ihr lassen, weil sie Bosnierin ist?“
„Weil du von der Nationalität redest und ich von der Herkunft. Sie ist Bosnierin. Das heißt, sie ist Muslima. Das erkennst du auch an ihrem Namen. Emina ist ein arabischer Name. Willst du dich in eine Muslima verknallen? Da sag ich dir, lass die Finger von ihr.“
„Aha. Warum hast du dann nicht gesagt, lass die Finger von ihr, sie ist Muslima? Außerdem: woher bist du dir so sicher? Sie trägt kein Kopftuch.“
Miloš verdreht die Augen. „Alle Bosnier sind Moslems.“
„Und Milan ist jeden Freitag in die Moschee gegangen.“
Er knurrt eine serbische Unfreundlichkeit.
„Nanana“, mache ich.
„Du bist eine Nervensäge.“
„Ich weiß“, sage ich. „Übrigens habe ich ausnahmsweise eine Frage zu deiner bosnisch-ser­bischen Herkunft.“
Er seufzt ergeben. „Frag deine Fragen, bis dir keine mehr einfallen.“
„Du sagst immer, dass du bosnischer Serbe bist, weil deine Vorfahren aus Serbien stammen und irgendwann nach Bosnien gezogen sind.“
„So ist es.“
„Wieso erwähnst du nie, dass deine Mutter Kroatin war? Du könntest ja genauso sagen, dass du bosnischer–“
Frostig unterbricht er mich. „Jeremy, es gibt Dinge, die solltest du nicht mal denken.“
„Aber deine mütterlichen Vorfahren stammen doch aus–“
„Jeremy, lass es!“, faucht er und in seinem Blick ist …
… Krieg, würde ich sagen.
Ich glaube, ich habe den wunden Punkt in der ganzen Patriotengeschichte erwischt. Ein anständiger bosnischer Serbe hat keine kroatische Mutter.
Auf einmal tut er mir leid. Er kann ja nichts dafür, dass sein Vater als junger Kerl unbedingt ein kroatisches Mädchen heiraten musste. Womöglich hat er das nur getan, weil seine Eltern dagegen waren. So was kommt ja in den besten Familien vor.(174)
„Ich denke nie wieder darüber nach. Versprochen“, biete ich an.
„Danke“, sagt er leise und ich sehe, wie wieder Frieden einkehrt in seinem Blick.
„Hier, nimm das“, sage ich und lege auf den Tisch, was ich an Scheinen im Portmonee habe. Ich kann jederzeit zum Bankautomaten gehen und mir neues Geld holen. Er hat nicht mal ein Konto – wobei sich das auch nicht lohnen würde, da es ja eh' meistens leer wäre.
„Was soll ich damit?“, fragt er skeptisch.

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