15. Dezember 2015

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Die Liege quietscht und wackelt sehr, als ich mich auf ihr ausbreite, aber Merle sagt, dass das normal ist, sie werde nicht zusammenbrechen.
Dann nimmt sie ein Massageöl mit Kamillenaroma beginnt auf mir herum zu kneten und zu walken. Wau. Es ist soooo angenehm!
Nach einer Weile fängt sie von selber an zu erzählen, dass sie zwar schon immer Schultern massiert hat, aber nur auf Erics Wunsch hin zu einer Physiotherapeutin gegangen ist und sich ein paar wichtige Dinge hat erklären lassen. Und dass ich der erste Mann seit Erics Abgang bin, dem dieses Wissen zuteil wird.
Als es sehr still geworden ist, frage ich: „Warum redest du nicht weiter?“
„Erstens will ich mich konzentrieren auf das, was ich tue. Zweitens habe ich gelernt, dass es die Entspannung der Massage komplett zunichte machen kann, wenn man die ganze Zeit zugetextet wird. Und drittens“, sie holt tief Luft, „tut es halt doch noch ziemlich weh.“
„Darf ich für dich beten? Hier und jetzt? Dass Jesus dein Herz heil macht und du Eric eines Tages vergeben kannst?“
„Nein“, sagt sie schroff.
Mit so direkter Ablehnung habe ich nicht gerechnet.
Nach einer Weile räuspert sie sich. „Doch. Darfst du. Aber mach es bitte vorsichtig. Ich will nicht in Tränen ausbrechen und ich bin kurz davor.“
Ich ziehe meinen Pullover an. „Darf ich dich in den Arm nehmen?“
Sie nickt, und ich habe sie kaum berührt, als sie schon zu weinen beginnt. Ich glaube, da ist auch der ganze Ärger ihres letzten Arbeitstages drin. Ich nehme sie mit zum Sofa und wir setzen uns nah zusammen und ich halte sie einfach fest.
Hier hat Gott mich sehr verändert. Noch vor einem halben Jahr hätte ich mich nie in so eine Situation begeben, weil ich zu viel Schiss davor hatte, dass eine Heulerei passieren könnte.
Man nennt das emotionale Reife – und es fühlt sich gut an.

Ich hole die Wasserkaraffe und ein Glas und eine Schachtel Taschentücher.
„Jeremy“, beginnt sie mit verheulter Stimme, „Männer kriegen das ja nicht so gerne gesagt, aber … willst du meine beste Freundin sein?“
„Von mir aus“, schmunzele ich. „Aber apropos beste Freundin, du hast doch nicht nur mich, wo sind die Mädels aus unserem Fanclub?“
Wieder fließen Tränen. „Die haben mich lieber, wenn ich lustig bin. Deswegen hab ich keine von denen angerufen. Eigentlich wollte ich den Wein da austrinken und mich dann ins Bett hauen und wütend sein und mir leid tun. Abwechselnd.“
„Ach je“, bedauere ich sie. Dann fange ich an zu beten. Dass Jesus ihr Freundinnen gibt, die auch ihre unlustigen Seiten schätzen, dass er ihr Herz heil macht, dass sie Eric vergessen kann, dass sie der gemeinsamen Zeit nicht nachtrauern muss, dass sie einen neuen Sinn im Leben findet, dass er … und dass sie … und dass er … und zum Schluss segne ich sie mit allem, was der Himmel hergibt.

Gegen elf verabschiede ich mich. Im Flur fragt sie: „Erzählst du Miloš davon?“
„Wie kommst du drauf?“
„Ich dachte, so beste Freunde wie ihr, die erzählen sich alles.“
„Längst nicht! Miloš macht ganz viele Dinge mit sich selber aus und ich erfahre vielleicht davon, wenn er fertig ist damit. Vielleicht nicht mal dann. Und wir zwei sind doch auch beste Freunde. Was du mir erzählst, behalte ich für mich, so wie ich dir auch nichts von dem erzähle, was er mir sagt. Oder hast du das Gefühl, ich würde es damit nicht so genau nehmen?“
Jetzt kann sie endlich wieder lachen. „Bestimmt nicht! Wenn ich dich über ihn ausfragen will, sagst du mir ständig, dass es mich nichts angeht!“
„Na siehst du.“

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