15. Dezember 2015

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„Natürlich ich und Muskelkater, was denkst du? Ich laufe, schwimme und mache ein bisschen Hanteltraining, aber ich tapeziere doch nicht jeden Tag!“
„Das wäre aber auch reichlich unproduktiv“, mische ich mich ein, „Du könntest ja nur bis einen Meter und siebzig hoch tapezieren.“
„Ich bin größer als eins siebzig!“
Ich übergehe den Einwurf und wende mich an Merle: „Stell dir vor, gestern ist das Bassisten-können-alles-Denkmal vom Sockel gefallen. Unser werter Bassist kann nämlich nicht auf Leitern stehen, ohne sich mit beiden Händen festzuhalten. Versuch mal zu tapezieren, wenn du die Leiter nicht loslassen kannst! Tja, wer ist also die ganze Zeit auf die Leiter, wieder runter, wieder rauf, und das ganze endlos oft?“
„Der werte Schlagzeuger“, löst Miloš das Rätsel auf.
„Demnach hast du also noch mehr Muskelkater“, schlussfolgert Merle.
„Wie willst du messen, wer mehr Muskelkater hat? Allerdings hab ich mir irgendwas verrenkt oder so, denn mein linker Arm kribbelt, wenn ich ihn über Schulterhöhe – aua!“ Sie hat mich in die Schulter gekniffen!
„Du bist total verspannt!“
„Kein Wunder, wenn du mich kneifst!“
Sie winkt ab. „Hast du vielleicht noch eine Ölflasche in greifbarer Nähe?“
„Was für Öl?“
„Irgendein nicht so kostbares Zeug, mit dem ich deinen Nacken massieren kann, Sonnenblumenöl zum Beispiel. Bodylotion würde aber auch gehen.“
„Hab keine.“ Ich wende mich an Miloš, „Hast du welche?“
„Nein.“
„Das dachte ich mir, deswegen rede ich vom Öl. Zieh mal den Pullover aus.“
Sie krempelt sich die Ärmel auf, träufelt sich etwas Maiskeimöl in die Hände und bringt sich hinter meinem Stuhl in Position. Dann fängt sie an, meine Nacken- und Schultermuskulatur zu kneten und zu kneifen. Es ist sehr unangenehm, aber ich sage nichts dazu.
Merle hingegen schon: „Das wird hier nichts, Jeremy. Ab nach nebenan.“ Sie selbst geht noch einen Raum weiter und kommt mit meiner Bettdecke zurück. Die legt sie hin, faltet sie längs und ich darf mich drauf niederlassen.
Als es nicht mehr weh tut, was sie mit meinem Nacken anstellt, stört es mich auf einmal auch nicht mehr, dass ich ziemlich unbequem liege.

Irgendwann wache ich auf. Draußen ist es dunkel, aber das heißt Mitte November ja nicht viel. Auf mir liegt die zweite in unserem Haushalt verfügbare Bettdecke, auf meinen Schultern zusätzlich ein Handtuch und darauf das lange Körnerkissen, das Wärme abgibt.
Aus der Küche höre ich Merle und Miloš reden.
Mühsam rappele ich mich auf, ziehe den Pullover an (auch wenn er jetzt eine Ölpest erleben wird, denn ich bin ziemlich glitschig), packe mir wieder das Körnerkissen auf die Schultern und gehe zu den beiden.
„Na“, macht sie, „das war wohl nötig.“
„Vor allem war es wunderbar. Danke.“
„Freu dich ruhig“, murrt er. „Als sie nämlich mit dir fertig war, hatte sie keine Lust mehr, bei mir weiter zu machen.“
„Ich wollte nicht riskieren, dass ihr dann beide da liegt und pennt“, lacht sie. „Außerdem war keine Decke mehr übrig.“
„Wie lange hab ich denn geschlafen?“
„Bestimmt eine Viertelstunde.“
„Das ist ja nicht so wahnsinnig lange.“
„Auf dem Fußboden schon. Komm morgen Abend nach der Arbeit zu mir, dann kriegst du die zweite Hälfte.“
„Ooch, das ist gemein“, mault er, „ich dachte, morgen wäre ich dran!“

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