15. Dezember 2015

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Die Tür geht auf und eine Frau sagt: „Das trifft sich ausgezeichnet, dass ich euch beide auf einmal erwische.“ Ich drehe mich zu ihr um, es ist Marijke Diekmanns. Sie schließt die Tür hinter sich.
„Worum geht’s, hast du eine Wohnung für uns?“, will ich wissen. Mittlerweile habe ich jeden im Kollegium mindestens zweimal danach gefragt.
Sie schüttelt den Kopf. „Meine Schwiegermutter Ellie sagt, ihr sollt euch bitte noch mal bei Herrn de Vos melden. Er hat versucht euch zu erreichen, aber deinen Namen hat er nicht mehr gewusst und zu deinem steht nichts im Telefonbuch. Irgendwann ist ihm eingefallen, dass wir in einem weiteren Verhältnis zueinander stehen und Ellie hat versprochen, das auszurichten.“
„Was will er?“, frage ich.
„Wie soll ich das wissen? Geht hin und fragt ihn selber.“ Sie gibt mir eine Visitenkarte, wie wir ja schon einmal eine bekommen hatten.
„Hat er denn nichts gesagt, nur dass wir uns bei ihm melden sollen?“
„Haben deine Schwiegereltern schon einen Nachmieter?“
Marijke rollt mit den Augen. „Rede ich chinesisch?“
„Whu“, sagt Miloš.
„Was? Was hast du gesagt?“
„Das ist chinesisch. Nein.“
„Hä?“
„Sie fragt, ob sie chinesisch redet, und ich antworte whu. Nein.“
Klugscheißer. Stattdessen will ich wissen: „Wohnen sie denn noch am Visserdijk?“
„Sie haben schon die meisten Sachen in der neuen Wohnung, das kann nicht mehr lange dauern, bis das Haus frei ist. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: geht hin und fragt ihn selber. Es muss ja nichts mit dem Haus zu tun haben.“
Marijke verlässt den Raum und ich äußere: „Womit sollte es sonst zu tun haben, wenn nicht mit dem Haus?“
Miloš hebt die Schultern. „Wenn das für dich okay ist, gehe ich alleine zu ihm.“
„Tu das. Und lass dich nicht auf krumme Kompromisse ein.“
Er nimmt die Visitenkarte. „Das passiert schon nicht, keine Sorge.“

Weil er zu Feierabend noch nicht zurück ist (oder gerade dienstlich unterwegs ist, um ein Kind nach Hause zu bringen), fahre ich einkaufen; erst im Supermarkt und auf dem Heimweg mache ich noch Halt beim Syrer. Der verkauft nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch viele andere Lebensmittel, die natürlich sämtlich halal sind, also den moslemischen Reinheitsgeboten entsprechen.
Am Regal mit Reis, Linsen, Couscous und so weiter überlege ich: Welche Sorte Maisgrieß hatte ich beim letzten Mal genommen? Ich weiß nicht mal mehr, wie die Verpackung aussah, was sonst ein sicherer Leitfaden ist beim Einkauf. Heutzutage kann man ja nicht ein Produkt kaufen, sondern muss zwischen hundert Sorten des selben Produkts entscheiden. Total anstrengend. Als ob das Leben nicht kompliziert genug wäre! Ich verschiebe den Kauf, weil ich nicht auf gut Glück irgendwas mitnehmen will, wende mich zum Einkaufswagen um und stoße fast mit Miloš zusammen, der hinter mir steht.
„Wah!“, quiekt es aus mir. „Musst du mich so erschrecken?!“
„Warum erschreckt dich mein Anblick so?“
Ich versuche aus seiner Mimik zu schließen, wie das Gespräch verlaufen ist, aber da gibt es nichts zu schließen. Sein Gesicht ist wie eine Maske. Oh je.
„Und, was wollte er?“, frage ich vorsichtig.
„Wir haben eine Wohnung.“
Mir entweicht ein Freudenschrei. Miloš verdreht grinsend die Augen, aber das stört mich nicht. Jubelnd tanze ich zwischen den Regalen herum, bis alle Anwesenden es wissen: „Wir haben eine Wohnung!“

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