hundertzweites Kapitel
Heute ist der 14. November; gestern Abend war der Nachmieter bei uns und wollte wissen, wann er in die Wohnung kann. Sogar einem Berufsoptimisten wie mir frieren die Füße. Vor allem weil wir am Dienstag, statt uns der Band zu widmen, eine Wohnung angeguckt haben, die man, so böse das klingen mag, nur an Ausländer vermietet kriegt. Wäre sie wenigstens erträglich gewesen, hätte ich vielleicht zugesagt; aber sie war nicht mal das.
Mittags ziehe ich mich in die Bibliothek zurück, um endlich noch mal Wohnungsanzeigen zu lesen. Ich weiß bald nicht mehr, wo ich noch nicht gesucht habe. Und bald weiß ich auch nicht mehr, was man sonst mit Zeitungen, Internet und öffentlichen Aushängen machen kann.
Die ganze Wohnungssucherei geht mir extrem auf die Nerven.
Die Tür geht auf, die Tür geht zu und mein Leidensgenosse setzt sich auf meinen Tisch.
Weil niemand da ist, den unser Gespräch stören könnte, sagt er: „Ich habe nachgedacht.“
„Öfter mal was Neues“, grummele ich.
Er winkt ab. „Wir werden heute anfangen mit packen und bringen alle Möbel und die Sachen, die wir nicht jeden Tag brauchen, in den Proberaum. Wenn wir geschickt stapeln, bleibt die Hälfte des Raumes frei, das ist genug für die Band.“
„Und wir übernehmen dann die andere Hälfte?“, unterbreche ich unmotiviert. Egal was er sagt, ich bin dagegen. Ich will nicht in einem Provisorium leben und für jede Socke überlegen müssen, in welchem Karton sie sein könnte.
„Nein. Du ziehst bei Mommi ein und ich bei Zoran.“
„Aha, ihr redet wieder miteinander?“
„Ja. Er wusste ja nicht, was das für mich heißt. Machen wir es also so?“
„Nein, Miloš, verdammt! Hör mir doch zu! Ich will nicht jeden Karton, jedes Möbelstück, jedes Ding zweimal anfassen und umräumen müssen!“
Er packt meine Schultern und schüttelt mich. „Wach endlich auf, Mann! Wir haben keine andere Wahl!“
„Lass mich los“, fordere ich müde.
Er tut es, aber er ist noch nicht fertig mit mir. „Auf der einen Seite willst du nur mit mir zusammen wohnen, auf der anderen willst du kein Zwischenlager anfangen – was sollen wir sonst tun?“, fährt er mich an. „Sag es mir!“
„Schrei mich nicht an, ich versteh dich auch, wenn du normal mit mir redest. Und ja, stell dir vor, ich hab das schon begriffen, dass wir in einer Sackgasse stecken. Aber ich will nicht.“
Er unterbricht mich, aber ich bin lauter: „Nein, verdammt noch mal! Ich will nicht! Mommi sagt, ich habe einen eisernen Willen, und nur der hat mich bis jetzt immer gerettet. Früher oder später hat es sich immer rausgestellt, dass es gut war, nicht aufzugeben!“
„Früher oder später?!“, regt er sich auf, „Wir haben keine Zeit mehr für „später“!“
„Moment“, gehe ich in gemäßigter Lautstärke dazwischen. „Schreien wir uns gerade zum zweiten Mal binnen einer Woche an, weil wir die Nerven blank haben?“
„So hört es sich an.“
„Lassen wir uns von den fiesen Umständen auseinander bringen?“
„Scheint so“, knurrt er.
„Wollen wir das?“
„Nein, das wollen wir ganz sicher nicht.“
„Jesus, pass auf unsere Freundschaft auf“, fange ich an zu beten, „ich will nicht, dass sie wegen der Wohnungssuche kaputt geht. Wir sind ganz unten angekommen, wir sehen keinen Ausweg mehr. Du musst uns jetzt helfen.“
„Jetzt“, fleht Miloš. „Nicht so ein Ewigkeits-Jetzt, sondern ein Menschen-Jetzt. Bitte, Jesus.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen