„Jeremy, seit wann gehst du denn joggen?“, fällt ihr auf.
„Öfter mal was Neues“, behaupte ich, was ich nach Aussage des in meiner WG wohnenden Sprachforschers seit einiger Zeit ständig sage.
„Moment“, hält sie uns zurück, „Wie lange bleiben wir eigentlich hier? Und müssen wir den Transporter noch wieder beladen?“
Ich bleibe im Türrahmen stehen. „Die Instrumente sind schon längst drin, und wann du heimfährst, solltest du mit Merle klären, schließlich bist du auch mit ihr hergekommen.“
Miloš ist schon mit seiner Tasche an der Wohnungstür und will raus.
„Warte bitte“, sage ich ihm und in die Küche: „Wir werden fahren, sobald Zoran munter ist. Falls du ihn triffst, kannst du ihm das ja ausrichten.“
Von Laufen kann keine Rede sein, aber so ganz langsam gehen wir auch nicht. Die Chancen stehen gut, dass wir irgendwann am Coec ankommen, denn wir bewegen uns in Richtung Innenstadt. „Du wolltest später weiter drüber reden“, erinnere ich.
„Worüber?“, fragt er abwesend.
„Darüber, dass du jetzt Niederländer werden willst. Und warum fällt dir das ausgerechnet jetzt ein?“
„Das hier ist das große Patrioten-Wochenende. Die meisten Leute reden so, wie ich in meiner Kindheit geredet habe. Als wir Freitag im Restaurant und hinterher in der Disco waren, habe ich mich wie früher gefühlt.“
„Warum willst du dann Niederländer werden?“
„Warum lässt du mich nicht einfach mal ausreden?“
„Sorry. Red weiter.“
„Vielleicht ist dir aber auch aufgefallen, dass die Yugos einander alle so lange mögen, wie alle gute Laune haben.“
Ich lache. „Bestes Beispiel dafür sind Zoran und du.“
Er schnaubt.
„Okay, okay, ich bin still“, lenke ich kichernd ab.
„Wenn nämlich einer etwas sagt, das ihnen nicht in den Kram passt, dann ist die ganze Yugos-in-der-Fremde-Verbundenheit auf einmal für den Arsch. Dann ist der Yugo-Bruder von gestern Abend ein Nazi-Serbe und wir führen uns auf wie im Krieg. Einfacher wäre es, wenn wir nur Yugos wären, aber jeder trägt seine Nationalität als Fahne vor sich her und als Mauer um sich herum. Frieden oder gar Einheit sind so völlig unmöglich. Als du die Hymne gesungen hast, habe ich darüber nachgedacht, dass die Niederlande auch aus vielen Völkern bestehen. Aber sie sind eins. Eine Nation. Eine Sprache. Eine Schrift. Nebenbei ein sehr lebens- und liebenswertes Land. Ich will dazugehören.“
Das Bimmeln seines Handys unterbricht ihn. Er guckt auf das Display und gibt es wortlos an mich weiter. Zoran. Ich erwische die richtige Taste und frage: „Ja?“
„Wo ist Miloš?“
„Gerade nicht zu sprechen, deswegen geh ich ja an sein Handy. Was gibt’s?“
„Wo ist er denn?“
„Nicht zu sprechen. Weshalb rufst du an?“
„Wann wollt ihr zurück nach Zuyderkerk?“
„Von mir aus direkt. Wir sind schon auf dem Weg zum Coec.“
„Okay, dann mach ich mich auch auf die Socken. Bis gleich.“
„Ja, bis gleich.“ Ich gebe das Gerät zurück.
Miloš seufzt. „Danke. Vielleicht könntest du heute in der Mitte sitzen? Ich weiß, er kann nichts dafür, aber … trotzdem.“
„Na klar.“
Während der Heimfahrt überkommt mich ein großes Schweigen. Leider hat mich der Alltag schon wieder eingeholt. Zuhause erwartet uns eine nicht renovierte Altwohnung und eine nicht gefundene Neuwohnung. Ich habe keine Lust mich damit zu befassen, aber ich fürchte, ich komme nicht drum herum.
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