Aus meinem stillen Posten sehe ich Merle mit einem Mann tanzen, sie haben sichtlich Spaß. Unsere Brüll-Amsel ist mir in den letzten Wochen richtig fest ans Herz gewachsen. Ich mag ihren manchmal ruppigen Umgangston, weil ich ihr empfindsames Wesen darunter spüre, ich liebe es, wie sie in Liedern Emotionen transportiert und Geschichten erzählt, wie sie singt und röhrt und summt und brummt und was sie sonst noch mit der Stimme kann. Und seit wir vor dem Auftritt in Almere zusammen gegessen und geredet haben, habe ich auch ihre Schönheit entdeckt. Nicht so, dass ich in Leidenschaft entflammt wäre; sie ist nicht mein Typ, aber das eröffnet einem einen anderen Blick auf eine Person, gerade wenn man – also Mann – eine Frau anguckt. Ich glaube, es macht mir mehr Spaß, ihr beim Tanzen zuzugucken als selber mit ihr zu tanzen. Das liegt nicht zwingend daran, dass ich besser gucken als tanzen kann.
Lisanne und Zoran bekommen davon nichts mehr mit. Seit heute Nachmittag sind sie ein Paar und das ist gut so. Ungefähr eine Woche lang hatte es sich hingezogen, dass sie zwar knisternd verliebt waren, aber der entscheidende Anstoß gefehlt hatte. Nun können wir uns alle entspannt zurücklehnen und beobachten, wie zwei glücklich sind. Vielleicht gibt es bei den Donnerdrummels in nächster Zeit mehr Liebeslieder; mir wäre es recht. Miloš muss ja nicht unser einziger Texter bleiben. Den hab ich übrigens länger nicht gesehen, wo ist er?
Als hätte er meinen Gedanken gehört(166), taucht er neben mir auf.
„Hoi“, mache ich und nicke zu den beiden hin, „Schon gesehen?“
„Ja“, knurrt er.
„Und wieso freust du dich nicht? Ist doch schön, dass sie sich endlich gekriegt haben?“
„Wie, endlich?“, fragt er.
„Sag bloß, du hast davon nichts mitgekriegt? Die haben doch die ganze Zeit serbokroatisch miteinander geredet!“
„Ich dachte, wir sind Freunde!“
„Was hat denn das miteinander zu tun?“
„Wie, was hat es miteinander zu tun? Womit könnte es etwas zu tun haben, wenn ich von ihr und mir rede?!“
Unser fruchtloses Lamentieren hat eine Lautstärke angenommen, die trotz der Musik andere Gäste aufmerksam macht.
„Ortswechsel“, sage ich, „oder soll jeder zuhören können?“
Einhellig verziehen wir uns in unsere Garderobe.
„Und jetzt noch mal ganz von vorne, ich versteh kein Wort. Worüber regst du dich so auf?“, bitte ich um Klarheit.
„Wenn Lisanne und ich beste Freunde sind, wieso fängt sie dann auf einmal was mit diesem Kerl an?“
„Ja, aber du hast doch immer gesagt, dass ihr beste Freunde seid!“
„Kannst du das nicht verstehen oder willst du bloß nicht?!“, brüllt er mich abrupt an, „Ich wollte mein schwachsinniges Single-Jahr zu Ende bringen!“
„Warum hast du sie denn nicht jetzt gefragt?“
„Weil Gott mir doch gesagt hat–“
In diesem Augenblick geht die Tür auf und Merle steht im Raum. „Ist es wieder mal so weit? Meist freundlich, manchmal ziemlich laut?“, erkundigt sie sich breit grinsend. „Man hört euch auf dem ganzen Flur.“
So gern ich sie habe: sie hat mir gerade noch gefehlt. „Merle, tu mir den Gefallen, lass uns in Ruhe“, bitte ich. Wenn sie Miloš ausgerechnet jetzt einen dummen Spruch verpasst, fürchte ich, rastet er aus.
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