„Leih es dir bitte nicht bei Zoran, hörst du? Mach bitte keine Schulden wegen der blöden Telefonrechnung. Das ist wirklich zu unwichtig. Es wird mich nicht ruinieren, wenn mal eine Rechnung etwas höher ausfällt als die übrigen.“
Geld ist bei ihm ein schwieriges Thema. Er hat den Mädchen-für-alles-Job an der Schule, den er sehr gerne macht,(161) er hilft bei Steven aus, und wenn sich was ergibt, arbeitet er auch noch in einem russischen Supermarkt in der Neustadt. Aber auch wenn er alles zusammen rechnet, kommt er damit nicht aus. Noch dazu hat er an der MBB unregelmäßige Arbeitszeiten und die beiden anderen Jobs federn nur Personalengpässe ab.
Würde er nicht bei mir wohnen, müsste er staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. Natürlich nimmt er lieber meine Hilfe in Anspruch als die des Staates, aber er mag nicht finanziell abhängig sein. Wenn er nicht gerade mal auf Dersummeroog das Sparen vergisst, leistet er sich nichts. Der erste große Posten auf seiner Ausgabenrechnung ist die Rückzahlung des Führerscheins, dessen Raten er jeden Monat auf den Cent genau und pünktlich beim Kassenwart des Fördervereins der Schule abgibt. Zweitens zahlt er ein Viertel Miete für den Proberaum. Und den ganzen Rest gibt er mir für die Lebensmittel- und Unterhaltskosten unserer WG.
Ich habe schon ein paar Mal versucht ihn zu überreden, dass er mir weniger Geld gibt und etwas für sich zurück behält, damit er mal Klamotten kaufen gehen kann oder so. Kein Dialog möglich. Ich fürchte, dass ich seine südeuropäische Ehre in Frage stelle, wenn ich sein Geld nicht annehme. Wenn es um seine Ehre geht, fange ich lieber keinen Streit an, das ist zu heikel. Allerdings lasse ich in Haushaltsfragen nicht mehr mit mir reden. Neulich hat er den Wocheneinkauf übernommen, weil ich wegen einer Schulkonferenz keine Zeit hatte, und da hat er nur Light-Produkte und das ganze fettreduzierte Zeug angeschleppt – mit dem Argument: das ist viel billiger! Zum Glück hat er selber gemerkt, dass die Sachen seltsam schmecken.
achtundneunzigstes Kapitel
Dienstags telefoniere ich einem Mann hinterher, der eine Wohnung vermieten will. Als wir endlich einen Besichtigungstermin vereinbart haben, ist das Objekt leider schon weg – angeblich! Vielleicht hat es nämlich damit zu tun, dass der Mann wissen wollte, wer wir sind, die die Wohnung mieten möchten und ich uns namentlich vorgestellt habe.
Der latente Rassismus mancher Leute ist zum Ausrasten. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich auf so geballte (und völlig grundlose) Ablehnung stoße. Bisher hatte ich nur in der Schule damit zu tun, wenn mal einer von seinen negativen Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit berichtete. Das war schade und beschämend. Und nicht mein Problem.
Jetzt aber bin ich direkt davon betroffen! Wenn man uns wenigstens die Chance lassen würde, persönlich vorbei zu kommen! Miloš ist der am eifrigsten um Integration bemühte Ausländer, den ich kenne. Irgendwann wird er niederländischer sein als ich.
Ich versuche die nationalistischen Ausreißer und meine zunehmende Wut über sie so gut es geht von ihm abzuhalten, aber das hilft natürlich nicht, er telefoniert ja selber auch herum.
Freitags kommt er betrübt auf unseren kleinen Pausenhof.
„Was ist denn mit dir los?“, will ich wissen. Ich winke Shelley zu, dass sie und Bernard mal kurz auf mich verzichten müssen und gehe mit meinem Freund in den leeren Gruppenraum.
„Herr Jolinck hat angerufen, als ich vorhin zuhause war. Er hat zum ersten Dezember einen Nachmieter gefunden.“
„Hm“, ist alles, was mir dazu einfällt. Herr Jolinck ist mein Vermieter. Und Dezember ist in drei Wochen.
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