15. Dezember 2015

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„Vierzehn Stunden am Stück Autofahren? Nur 1.500 Kilometer?!“, wiederhole ich atemlos. „Die Niederlande sind an ihrer längsten Stelle ungefähr 430 Kilometer lang!“(160) Diese riesigen Entfernungen, wie auch Cokko sie kennt, sind für mich völlig abstrakt und passen nicht in mein Hirn. (Und für Cokko sind 1.500 Kilometer fast noch ein entspannter Kurztripp!)
Er winkt ab, „Bosnien ist auch nicht größer.“
„Ich weiß, und es hat nur zwanzig Kilometer Küste.“
„Das gefällt dir, he? Aber wir haben den höheren Berg.“
„Maglić, 2.386 Meter, an der Grenze zu Montenegro“, rufe ich Fakten ab wie beim Supertrumpf. „Würde das heißen, dass wir uns bei der Fahrt abwechseln müssen?“
„Bitte nicht. Ich bin ein miserabler Beifahrer, vor allem bei ungeübten Fahrern.“
„Macht dir das denn nichts aus, so lange am Stück zu fahren?“
„Das macht mir sogar Spaß. Wenn es nach mir geht, fahre ich die ganze Strecke und du bist der Beifahrer und kannst mich unterhalten oder es sein lassen, gerade so, wie du Bock hast.“
„Und die anderen Mitfahrer gabelst du unterwegs auf?“
„Ja. Da muss man sich einig werden über Zeit und Ort, aber wenn ich die Strecke ausgearbeitet habe, gebe ich die Stationen im Internet ein und nenne meinen Preis und wer mit will, meldet sich rechtzeitig an. Du brauchst dich nicht darum zu kümmern. Na, was ist – willst du meine hübschen Kusinen kennen lernen?“, lockt er.
Bevor ich ausreichend über die Folgen nachgedacht habe, habe ich schon „Sicher!“ gesagt.
Miloš freut sich. „Ich werde uns anmelden.“
„Trag den Termin bitte in den Kalender ein“, sage ich, weil er näher dran sitzt.
„Wie soll das gehen? Der Kalender ist doch nur für dieses Jahr?“
Ähm, stimmt! „Dann schreib es im Dezember auf den Rand.“
Er tut es und fängt dann zögerlich an: „Du, Jeremy … sie haben die Telefonnummer aufgeschrieben … und du hast doch eine Flatrate fürs Telefon.“
„Ja, aber nur für inländische Telefonate.“
„Ach so. Hm. Aber … könnte ich vielleicht … ich rede kurz, versprochen.“
Ich mache eine einladende Handbewegung.
Er holt den Brief und das Telefon und tippt eine ellenlange Zahlenfolge ab.
Nach der Zeitspanne, die man so braucht, um beim Klingeln von einem Fleck der Wohnung aus ans Telefon zu kommen, wird in Peckovar abgehoben. Miloš meldet sich. Sein ganzes Gesicht ist ein einziges Lächeln.
Ich verstehe kein Wort vom Gesagten, aber ich sehe und begreife eine ganze Menge. Er freut sich sehr, die Person am gegenseitigen Ende der langen Leitung zu sprechen und zwischen ihnen ist eine große Zuneigung.
Nach ein paar Sätzen verlässt er die Küche und ich höre, dass er auf den Balkon geht.

Als er irgendwann mit rotgefrorenem Gesicht zurück kommt, frage ich entgeistert: „Habt ihr die ganze Zeit miteinander telefoniert?“ Wenn das „ich rede kurz“ ist, wie lange quatscht er dann, wenn es lange dauert?!
Zerknirscht schaut er mich an. „Tut mir leid, ich habe das auch erst gerade bemerkt. Ich habe nicht aufgepasst. Und ich werde dir das Geld zurückgeben, wenn ich wieder welches habe. Es ist nur … ich habe sie alle so schrecklich lange nicht gehört. Erst war Tante Dijana dran … sie wollte natürlich alles wissen. Wo ich gewesen bin und was ich jetzt arbeite und was ich in der Zwischenzeit gemacht habe und so. Dann hab ich mit Onkel Dragi gesprochen … er freut sich auf dich … na ja, und dann ist Sloba hereingekommen. Übrigens ist sie gerade als einzige Single, da wäre also noch was drin für dich. Sie spricht sehr gut deutsch, also braucht ihr keinen Übersetzer, und wenn sie nicht gerade zuhause ist, studiert sie in Köln Germanistik und Literatur und arbeitet am Theater. Sie könnte uns sogar hier besuchen, sagt sie, von Köln aus ist das ja nicht weit. Tja, da hat es dann noch mal länger gedauert.“
„Gut, dass nur drei von neun Familienmitgliedern zuhause waren, sonst wärt ihr ja noch längst nicht fertig“, stelle ich mit ungewollt ironischem Unterton fest.
„Ich werde es zurückzahlen“, betont er. „Ich leihe es bei Zoran, dann hast du es sofort.“

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