3. Dezember 2015

308

sechsundneunzigstes Kapitel

Als ich Samstagnacht nur noch warte, dass mein Haselnussbrot endlich aus dem Ofen kann, damit ich endlich ins Bett kann, klappt die Wohnungstür und Miloš kommt herein. Er lässt sich am Tisch nieder.
Die ganze Küche stinkt auf einmal nach Alkohol.
„Du bist besoffen.“
„Gratuliere, das hast du messerscharf erkannt.“
Ich öffne das Fenster. „Du wolltest doch ein ganzes Jahr lang nicht saufen?“ So krass voll habe ich ihn noch nie erlebt. Er bewegt sich zwar noch einigermaßen normal, aber er nuschelt und hat viel mehr Akzent als sonst.
„Das Jahr hatte heute Pause.“
Wenn alles, was man sich vornimmt, auch mal Pause hat, hat so ein Jahresprojekt nicht viel mit Konsequenz zu tun. Aber das ist seine Sache.
Der Wecker klingelt und ich schalte den Ofen aus. Das Brot lege ich auf ein Holzbrett, rate meinem Freund: „Geh pennen“ und verschwinde im Bett, denn im Bad war ich vorhin schon.

Mitten in der Nacht höre ich sein panisches Husten. Noch nicht richtig wach renne ich schon ins Bad. Er hockt vorm Klo und hält sich krampfend an der Schüssel fest. Ich reiße seine Arme hoch, schlage ihm zwischen die Schulterblätter und flehe Gott an, dass er überlebt, denn er ist schon blau im Gesicht und hat blutunterlaufene Augen.
Es hilft nicht – Gott, er darf nicht sterben! Bitte hilf mir!
Wieder und wieder schlage ich ihm auf den Rücken.
Endlich, endlich! löst sich der Fremdkörper aus der Luftröhre. Nach Atem ringend sinkt er zu Boden.
Jetzt, da die Anspannung nachlässt, zittere ich am ganzen Leib und der wummernde Puls macht meinen Hals eng. Es kann ja nicht mal eine Minute gedauert haben, aber es kommt mir vor, als habe sich der Überlebenskampf über Stunden hingezogen. Wie habe ich es bloß geschafft, seinen Oberkörper mit nur einer Hand hochzuziehen?
Ich würde mich gerne hinsetzen, aber die Kotze auf dem Boden hält mich ab.
„Geht es wieder?“, will ich schließlich wissen.
Er nickt ohne mich anzusehen.
„Soll ich bei dir bleiben?“
Er schüttelt den Kopf.

Die Nacht hat er in der Hängematte auf dem Balkon verbracht, denn das Sofa ist nicht mehr zu gebrauchen. Der Gestank hängt in der ganzen Wohnung. Obwohl es sein Dreck ist, putze ich das Bad – allerdings erst, nachdem ich etwas gegessen habe. Mit leerem Magen komme ich sonst nicht weit.
Wie sollen wir ab jetzt miteinander umgehen? Eigentlich müssten wir feiern, dass er noch lebt. Gott sei Dank, es hätte anders ausgehen können. Aber mir ist nicht nach Feiern. Mich hat das auch ziemlich mitgenommen.

Miloš braucht lange, bis er sich zu mir in die Küche traut, obwohl er schon wach ist. Er sieht furchtbar aus, verkatert, unrasiert und fertig, und erwidert meinen Blick nicht. Beim Atmen rasselt und pfeift es.
„Jeremy, du bist mein Zeuge.“ Seine Stimme klingt wie ein rostiges Scharnier. „Ich schwöre bei Gott: Ich bringe mein Jahr ohne Alkohol zu Ende und werde mich danach, so lange ich lebe, nie wieder besaufen.“
Muss ich jetzt was tun? Ich war noch nie Zeuge bei einem Schwur.
„Und den Auftritt sagen wir besser ab.“
„Kannst du bitte erst duschen und so Sachen? Du stinkst leider sehr.“
Er nickt und verzieht sich. Als er nach einer reichlichen Weile zurückkehrt, krächzt er: „Danke, dass du alles geputzt hast.“

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