Als wir endlich mit Musikmachen angefangen haben, bin ich stumm wie ein Fisch.
Nach dem ersten Lied muss ich wieder eine Stimmprobe abgeben. Alles einwandfrei.
Nach dem zweiten Lied prüft er, ob die Kabelverbindungen richtig sitzen. An Kabel und Steckern gibt es nichts zu meckern.
Nach dem dritten Lied ist er am Mischpult zugange.
Nach dem vierten Lied hat er endlich kapiert, dass es nicht am Headset liegt. „Kannst du mir mal sagen, was die Scheiße soll?“, fährt er mich an.
„Welche Scheiße?“, kontere ich, und weil das Gerät wie gesagt hervorragend arbeitet, ist das auf einmal sehr laut. Ich schalte das Senderkästchen aus und nehme das Mikro ab.
„Habe ich etwas schreckliches von dir verlangt? Nein, habe ich nicht!“
„Ich will einfach nur trommeln und nichts sonst! Jahrelang hat dir das gereicht – allen hat es gereicht! Warum reicht es jetzt auf einmal nicht mehr? Kriegst du denn nie den Hals voll, Miloš Kusturica?!“
„Das ist überhaupt nicht Punkt dieser Diskussion!“
„Ist es wohl!“
„Ist es nicht! Stattdessen könntest dich musikalisch ein bisschen entwickeln!“
Gleich schlägts fünfzehn! „Ich entwickle mich, wenn ich–“
„Ruhe!“, brüllt Merle uns mit unverstärktem Stimmvolumen nieder. „Du hörst mir gefälligst zu“, herrscht sie Miloš an „und du“, sie zeigt auf mich, „hältst die Klappe. Jetzt ist mal Schluss mit „meist freundlich, manchmal ziemlich laut“.“
Wenn ich es so ausdrücklich empfohlen bekomme, widerspreche ich lieber an einem anderen Tag.
„Du hast beschlossen, dass Jeremy mitsingen soll. Hast du ihn mal gefragt, ob er das will?“, fragt sie in Zimmerlautstärke. „Ich würde sagen, er will nicht.“
„Aber er singt doch sonst auch immer mit!“
„Nicht mit Mikro. Es ist zwar lieb gemeint, dass du ihm ein Headset mitgebracht hast“, wendet sie sich an Lisanne, „aber auch du hast ihn nicht gefragt, ob er will. Ich dachte, in dieser Band wird so viel Wert auf die persönliche Entfaltung gelegt? Es stimmt natürlich, er hat eine geile Stimme und ja, ich würde ihn gerne singen hören. Aber wenn er nicht will, dann will er nicht. Von dir wird auch nicht verlangt, niederländische Texte zu schreiben.“
„Das ist ja etwas ganz anderes! Niederländisch ist nicht meine Muttersprache, aber er hat seine Stimme schon sein Leben lang!“
Sie atmet tief durch. „Dafür, dass es nicht deine Muttersprache ist, streitest du dich sehr gut damit. Egal. Es geht drum, dass Jeremy nicht singen will. Akzeptier das.“(153)
„Und warum will er auf einmal nicht?“
„Nicht auf einmal, er wollte nie. Aber du hast ihm gesagt: du wirst ab sofort immer mitsingen. Das war keine Bitte, sondern ein Befehl. Mit welchem Recht befiehlst du ihm? Bist du der Bandchef?“
„Mit welchem Recht befiehlst du mir, dir gefälligst zuzuhören? Bist du der Bandchef?“
„Augenblick“, gehe diesmal ich dazwischen. „Sofern ich das richtig verstanden habe, bin ich der Bandchef und ich befehle euch hiermit, den Streit zu Ende zu streiten und nicht vom Thema abzuweichen. Und dann ist in dieser Band genug befohlen worden.“
Miloš widersetzt sich meinem Befehl und nimmt die Abkürzung, indem er mich direkt fragt: „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du nicht singen willst?“
„Du hast mich ja gar nicht zu Wort kommen lassen.“
„Okay. Du wirst also ab sofort nur dann mitsingen, wenn du Lust dazu hast. Behältst du das Headset bitte trotzdem? Falls es jemand braucht, wissen wir, an wen wir uns wenden.“
Ich nicke. „Komm mal mit raus.“
„Oh nein, geht das jetzt schon wieder los?“, schnaubt Merle.
„Wieso, was glaubst du, was er vor hat?“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen