3. Dezember 2015

304

fünfundneunzigstes Kapitel

Lisanne hat in der Ambulanz Krücken bekommen, und mit ihrer Wohnung hat sie Glück, denn die ist stufenlos im Erdgeschoss. Sie ist auch für sieben Tage krank geschrieben, sodass sie nicht aus dem Haus muss.
Dienstags muss sie nicht, aber sie will.
Merle holt sie zur Bandprobe ab, doch dann fangen die Probleme an. Sie kommt mit ihren Krücken nicht auf der Treppe zurecht und scheitert auf der zweiten Stufe. Allerdings kann sie auch nicht wieder herab, dafür müsste sie sich umdrehen, wofür zu wenig Platz ist.
„Du musst dich nicht umdrehen, steig einfach so wieder runter wie du aufgestiegen bist“, dirigiert Merle.
„Aber es geht nicht!“, jammert sie, „was soll ich denn jetzt machen?“
„Warum geht es nicht?“
„Außerdem tut mein Fuß weh, weil ich mich drauf abgestützt habe!“
„Na ja, aber es bringt ja nichts, du musst wieder runter und dann denken wir uns was Besseres aus.“
Miloš drängelt sich an uns anderen vorbei. „Halt dich fest“, sagt er zu Lisanne und gibt mir die Krücken. Dann hebt er sie hoch und trägt sie nach oben.
Ich folge ihnen und stelle einen Stuhl hin und räume das Sofa frei, damit sie ihren Fuß hochlegen kann.
„Danke“, sagt sie erleichtert. „Ich hatte gerade so eine hübsche Vision: wie wäre es, wenn wir alle drei zusammen ziehen?“
„Besser nicht. Wir würden dich binnen kürzester Zeit wahnsinnig machen. Ich, weil ich schrecklich ordentlich bin und Jeremy, weil er das Gegenteil ist.“
„Als so schlimm habe ich das bisher nicht wahrgenommen.“
„Bisher haben wir uns auch nicht jeden Tag zu jeder Uhrzeit und in jeder Gemütslage gesehen. Wenn ich nicht zuhause bin, halte ich mich zurück.“
„Und ich erst!“, muss ich auch noch was dazu geben.
„Wie kommt ihr dann miteinander zurecht?“, wundert Merle sich.
„Ungefähr wie hier. Meist freundlich, manchmal ziemlich laut“, lenke ich sie von weiteren Detailfragen ab.(152)
„Apropos, ich habe dir was mitgebracht“, fällt Lisanne ein und holt ein schwarzes Schächtelchen aus ihrer Handtasche.
Ich nehme es in Empfang. Drinnen liegt so ein kleines feines Mikrofon, das man sich am Kopf festmacht, allerhand Kabel und ein Kästchen mit Sender, das an den Hosenbund geklipst wird. „Was hat denn das mit apropos zu tun?“, will ich wissen.
„Nichts, wie kommst du darauf?“
„Wenn einer apropos sagt, kommt danach immer ein Zusammenhang mit dem, was vorher gesagt wurde.“
„Dann hat es den Zusammenhang, dass ich nicht an Zusammenhänge gebunden bin, wenn ich apropos sage. Ich habe zugeguckt, wie du trommelst und warum das mit dem Mikro nicht klappt. Das Headset könnte helfen.“
„Äh … danke“, mache ich. Zugleich denke ich: könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen? Jahrelang waren alle Bands, in denen ich getrommelt habe, glücklich, weil ich genau das getan habe. Warum muss ich auf einmal singen? Reichen nicht drei Stimmen für eine Band? Kann Miloš sich nicht damit zufrieden geben?
Nein, er gibt sich nicht zufrieden. Stattdessen hilft er mir eigenhändig, das Dings anzubringen und das Verbindungskabel zwischen Mikro und Sender durch meine Kleidung zu ziehen. Er stellt auch selbst den Kanal ein und lässt mich Stimmproben machen.

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