30. November 2015

295

Und dann die vielen Leute vor der Bühne! Zum Schluss sie-ben-hun-dert! Diese Zahl geht nicht in meinen Kopf hinein.
Der spannendste Moment des ganzen Tages; Merle dreht sich zu mir um. Ein Kameramann hat das aus nächster Nähe aufgenommen und dabei ihren erwartungsvollen Blick festgehalten. Jedem Zuschauer des Films(145) ist klar: Gleich passiert etwas Außergewöhnliches.
Mit der Gitarre gehe ich nach vorne und nach dem Missgeschick mit dem Mikro fange ich meine Ansprache an.
Hätte ich als Gast im Publikum gestanden, wäre ich wohl schon da in Tränen ausgebrochen. Als aber das Lied anfängt, entsteht eine atmosphärische Dichte, dass ich beinahe in Echt zu heulen anfange.
Insgesamt kommt es mir jedoch vor, als sei es der Film einer anderen Band. Als habe das alles gar nichts mit mir zu tun.

Zuhause blinkt der Anrufbeantworter, aber eine Nachricht wurde nicht hinterlassen. Weil es noch nicht sehr spät ist, rufe ich zurück. „Hier ist Jeremy van Hoorn. Sie hatten angerufen, worum geht’s?“, erkundige ich mich förmlich, weil es eine unbekannte Nummer ist.
Mein Gesprächspartner sagt etwas serbisches, soviel verstehe ich, mehr aber nicht. Ich gebe das Telefon weiter, „Ist für dich“ und will ins Bad.
Miloš sagt seinen Namen. Er bekommt etwas gesagt, knurrt selber zweimal „da“ (das heißt ja) und legt dann auf.
„Das ging aber schnell“, stelle ich fest. „Wer war es?“
„Mein Vater. Er will, dass ich herkomme. Jetzt.“ Wie immer, wenn es um Herrn Kusturica geht, hat Kusturica Junior einen sehr frostigen Blick drauf.
„Soll ich mitkommen?“
„Nein. Ich habe keine Angst vor ihm.“
Und weg ist er.
Hilfe, Jesus! Was ist jetzt schon wieder los? Warum bestellt Herr Kusturica seinen Sohn zu sich? Gibt es neuen Ärger? Kannst du nicht ein bisschen mehr Abstand zwischen den beiden einrichten? Die Welt ist so riesig groß – warum müssen beide unbedingt in ein- und derselben Kleinstadt wohnen?

Weil es wie gesagt noch nicht sehr spät ist, beschließe ich zu warten. Zumindest eine halbe Stunde lang, dann muss ich schlafen gehen. Ausgeschlafen ertrage ich den Lärm zwischen all den Kindern besser und gehe geduldiger mit ihnen um.
Meine selbst gesteckte Zeitvorgabe ist fast erreicht, dann ist Miloš wieder da. Er sieht nicht aus, als hätte es Streit gegeben. Das ist aber auch alles, was ich aus seiner Mimik lesen kann.
Daher wünsche ich zu erfahren: „Was hat er sich dieses Mal ausgedacht?“
„Er hat mich gefragt, ob ich die Absicht habe, mit ihnen zurück nach Peckovar zu kommen. Ich habe gesagt, dass ich die Absicht nicht habe. Das ist sensationell, dass er fragt und nicht einfach etwas bestimmt. Ich habe keinen blassen Schimmer, wer ihn auf die Idee gebracht hat, dass ich alt genug bin um selber zu denken. Natürlich musste er noch mal drauf hinweisen, dass er immerhin Bescheid sagt und nicht einfach abhaut. Na ja, jedenfalls hat er einen Bekannten, der sie Ende nächster Woche bis Wien mitnehmen wird und von da aus will er dann mal sehen, wie sie heimkommen. Eine feste Adresse haben sie noch nicht, aber bis dahin soll ich mich beim Petrovič oder Grigori Subotič melden, alte Freunde von ihm. Die haben sogar noch die selben Telefonnummern wie früher. Und wenn wir eine neue Adresse haben, sollen wir sie bitte auch bekannt geben.“

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