Da ich nicht weiß, wann Miloš nach Hause kommt, mache ich mir ein paar überbackene Tomaten-Käse-Brote und fahre dann schon zeitig los, aber nicht direkt zu Merle, sondern erst noch in den Proberaum.
Seit die große Nervosität vorbei ist, die ich vor dem Auftritt in Almere hatte, macht es mir wieder großen Spaß, mittendrin für eine halbe Stunde herzukommen und in aller Ruhe(144) an meinem wunderschönen Schlagzeug zu sitzen und zu trommeln. Jedes Mal wenn ich es anschaue, bin ich glücklich über meine tollen Bandkollegen.
Wir hangeln uns ja gerade von Auftritt zu Auftritt; Normalität gibt es wohl nicht mehr für uns (außer wir nehmen diesen Wahnsinn als Normalität an). Da ist es um so wichtiger, dass ich mir Zeit nehme für meine eigene musikalische Entfaltung.
zweiundneunzigstes Kapitel
Ausnahmsweise bin ich mal nicht der Letzte, sondern Lisanne kommt zu spät.
„Sorry, Leute, ich stand im Supermarktstau“, gibt sie als Erklärung an. „Ich bin in der Arbeit pünktlich weggekommen und wollte dann eben schnell noch was einkaufen. Mit besonderer Betonung auf „eben schnell“. Ich weiß nicht warum, aber ich erwische immer die Kasse, an der die ganzen komplizierten Fälle sind. Kein Preis auf der Ware, kein Kleingeld in der Tasche, Karte klemmt, Reklamationen, ach nein, dann möchte ich das lieber doch nicht mitnehmen, Sonderwünsche und so weiter. Und je mehr, je eiliger man es hat. Voll ätzend“, schnaubt sie.
„Was willst du trinken?“, fragt die gute Gastgeberin.
Nach kurzem Zögern wendet sie sich an Miloš: „Ist das okay für dich, wenn ich ein Glas Wein nehme?“
„Was sollte daran nicht okay sein? Vor allem, was fragst du mich?“, wundert er sich.
„Weil du keinen Alkohol trinken willst und ich will dich nicht in Versuchung bringen.“
„Oh, danke, aber so viel Rücksichtnahme ist nicht nötig. Merle, hast du Wein?“ Er wartet ihr Nicken kaum ab, „Gib ihr Wein.“
„Und selber?“
„Kaffee.“
„Jeremy?“
„Kaffee.“
Ich lasse mich mitten auf das große Sofa fallen, Lisanne und Miloš setzen sich links neben mich. Merle schiebt die DVD ein und pflanzt sich an meine andere Seite.
Der Film geht los.
Ich sehe die leere große Bühne; mein jetzt nicht mehr pinkfarbenes Schlagzeug und die anderen Instrumente glänzen in der Sonne. Dann erhebt sich das Heulen vom Staubsaugerschlauch (ich hätte nicht gedacht, dass man das so lange vorher schon hört) und wir betreten die Bühne. Ganz locker, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes gemacht, gehe ich hinter meine Trommeln und fange an. Jeder Schlag sitzt, der Sound ist einwandfrei. Einer der Kameraleute kommt ganz dicht zu mir hin und filmt mein konzentriertes Gesicht – scheint so, dass ich die Zähne zusammen beiße. Von wegen, ganz locker. Derweil spielen die drei anderen wie verrückt auf ihren Kinderinstrumenten, hüpfen und tanzen herum und haben sichtlich Spaß.
Die Kameraleute legen sich richtig ins Zeug, filmen jeden einzelnen, mehrere Bandmitglieder, die ganze Bühne, das Publikum, von vorne und von hinten und von ganz weit weg, ich mag mir gar nicht ausmalen, wie viel Technik für das Festival nötig gewesen ist.
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