„Ist nicht jeder nur seine eigene Person?“, belustigt Miloš sich.
Bernard grinst auch, sagt aber: „Ja, das stimmt. Nur meine eigene Person sucht eine Wohnung. Das ist auch gut so, dass ich endlich wieder nur meine eigene Person bin.“
„Zurück zur Post“, erinnert mein Mitbewohner. „Wer könnte geschrieben haben?“
„Wie soll ich wissen, wer geschrieben hat?“
„Du sollst es ja nicht wissen, sondern du sollst raten.“
Welche Nachricht ist so wichtig, dass er mir das am anderen Ende der Stadt mitteilen muss? Es kann nicht um Rechnungen gehen und Liebesbriefe erhalte ich gerade keine. Und so aufgeregt wie er unter seiner stoischen Fassade ist, kommt eigentlich nur ein Absender in Frage. „Hat zufälligerweise ein gewisser Carlos van Hoogedonk von Delta 3000 geschrieben und seinem Schreiben noch viel zufälligerer ein paar CDs beigelegt? Also, wenn es der nicht ist, will ich auch nicht länger raten.“
„Wie soll ich wissen, was drin ist, glaubst du, ich öffne deine Post? Briefgeheimnis!“, pöbelt er mich lachend an. „Allerdings hast du Recht, Carlos hat geschrieben.“
„Delta 3000 kenne ich. Warum kriegst du Post von denen?“
„Die Frage ist falsch gestellt. Genauer müsste es heißen, warum kriegen wir Post von denen“, korrigiert Miloš.
„Und die Antwort lautet, dass hier zwei Rockstars vor dir stehen, die Ende August mit ihrer Band auf einem Festival die große Karriere gestartet haben und diese Post enthält vermutlich die Audio- und Videoaufnahme des Auftritts.“
„Wenn ihr Ende August auf einem Festival gespielt habt und Delta 3000 damit zu tun hatte, muss es das Almere open air gewesen sein, und dann seid ihr beide die Hälfte von Donnerdrummel“, setzt Bernard die Einzelteile zusammen. „Ich hab zugehört, das war ziemlich gut, wenn auch sehr abgedreht.“
Wir beide gucken uns zufrieden an. Ungefähr so wollten wir beschrieben werden.
„Übrigens spiele ich E-Gitarre, angeblich recht gut, und die Band, in der ich war, hat ganz ähnliche Musik gespielt wie ihr. Allerdings mit viel seriöserem Anspruch. Es geht da so ein Gerücht um, dass eure Gitarristin euch kurz vor dem Auftritt verlassen hätte. Vielleicht treffen wir uns mal bei euch im Proberaum?“
„Gerne!“, lade ich ihn begeistert ein. „Wir sind immer Dienstags ab halb acht da.“
Miloš ist ungleich reservierter. „Wir fragen erst mal die Mädels, was die davon halten.“
„Warum? Er kann doch mal mitmachen?“
„Bis jetzt sind wir gut ohne Gitarre ausgekommen.“
Leider bin ich gerade heute nicht gut im Gedankenlesen, deswegen verstehe ich nicht, was er mir mit seinem Blick mitteilen will. Immerhin kapiere ich, dass er mir was mitteilen will und so vertage ich Bernards Besuch im Proberaum: „Wir fragen also erst mal die Mädels.“
Nun bimmelt sein Handy und er verabschiedet sich. „Ach ja, ich habe uns bei Merle eingeladen, Lisanne kommt auch und dann können wir den Film gleich heute angucken. Du hattest doch nichts anderes vor?“
„Das ist hiermit abgesagt“, lache ich. „Nein, ich hatte nichts vor.“
Meine Stadtführung findet ein sehr schnelles Ende, denn auf einmal habe ich es eilig, nach Hause zu kommen. In dem dicken braunen Pappumschlag, der auf dem Küchentisch liegt, sind wie erwartet die zwei CDs mit den Audio- und Videoaufnahmen des Auftritts, diverse Papiere und ein Brief von Carlos van Hoogedonk und dem Team aus der Musikredaktion enthalten.
Carlos bedankt sich für unsere tatkräftige Unterstützung, mit der das Festival zu einer einzigartigen Angelegenheit geworden ist. Außerdem lobt er unsere produktive Zusammenarbeit und den gut strukturierten und pünktlichen Verlauf unseres Auftritts.
Er wartet mit allerhand Daten und Fakten auf, so haben bei Beginn unserer Vorstellung etwa 150 Leute vor der Bühne gestanden, bei der Zugabe wurde erneut gezählt und da waren es schon um die 700.
Siebenhundert Leute!! Gut, dass mir das nicht klar war. Sonst wäre ich bestimmt noch viel nervöser gewesen.
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