30. November 2015

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„Wenn ich sage, ich trinke keinen Alkohol, dann werde ich keinen trinken. Warum fragst du, willst du mich auf die Probe stellen?“
„Du musst ja nicht gleich so aggressiv werden“, bemängelt sie.
„Wenn ich aggressiv werde, sieht das anders aus!“
„Aber warum willst du das alles sein lassen? Ich verstehe das nicht.“
„Ich lasse es halt!!“, brüllt er sie an. „Es ist mein freier Entschluss. Ist das so schwierig zu kapieren?“
Auf einmal kapiere ich, worum es geht. Bibellesen sowie der Umgang mit Alkohol und Sex waren die wichtigsten Themen in seiner „Wertesammlung“. Das Bibellesen hat er schon mit großem Eifer angefangen. Mit dem Sex (das heißt, der Enthaltsamkeit) ist ziemlich sicher am vergangenen Wochenende etwas schief gelaufen, deswegen will er jetzt Nägel mit Köpfen machen. So eine Veröffentlichung hilft dabei ungemein.
„Aber wie kommst du auf diese Idee?“, fragt Lisanne.
„Es war nicht meine Idee, sondern die von Gott. Er will mir auch bei der Durchführung helfen, wenn ich ihn lasse.“
„Und das hat er dir alles selbst gesagt?“, wundert Merle sich.
„Nein. Eine Frau, die mir sehr wichtig ist, hat es ausgerichtet.“
„Meinst du nicht, dass die was von dir will und erst in einem Jahr Zeit für dich hat?“
Zugegeben, die Idee ist schräg. Seine Reaktion ist es aber auch. Er baut sich vor ihr auf und droht: „Das nimmst du sofort zurück.“
Sie lacht. „Aha! Es ist also so!“
„Du sollst es zurück nehmen!“
Bevor sie übereinander herfallen, gehe ich mal lieber dazwischen. „Merle, hör auf. Die Dame hat andere Motive gehabt. Sie kennt Miloš und sie kennt Gott.“
„Kennst du die etwa auch oder wieso kannst du das so genau sagen?“
„Er hat gesagt, dass sie es ausgerichtet hat. Also war es nicht ihre Idee. Und ja, ich glaube, ich kenne sie.“ Es kann nämlich eigentlich nur Mommi sein. Stichwort „Wolkenpudding und andere Zuwendungen“. Niemanden sonst lässt er so nah an sich heran – soweit ich weiß.

„Was machen wir heute?“, will Lisanne wissen.
„Lasst uns erst mal so ein bisschen locker werden. Improvisieren, Töne meditieren und so. Jeder stellt sich auf die anderen ein, bis es gut klingt. Da bleiben wir für eine halbe Minute oder so und dann wechselt irgendwer Takt oder Tonart und von vorne. Okay?“, schlage ich vor. Nach dem Geschrei von gerade ist mir sehr danach, erst etwas Ruhe rein zu bringen.
„Nur, wenn du auch ein Mikro nimmst“, stellt Miloš Bedingungen.
Schulterzuckend hole ich mir eins und schließe es an.
Leise und vorsichtig fangen wir an, finden einander und steigern uns bald zum ersten Crescendo. Oben angekommen wechselt Lisanne die Tonart und das Spiel geht erneut los. Irgendwann suchen wir aber nicht weitere Harmonien, sondern bündeln unsere Energien in einem gemeinsamen Lied.

„Du spielst echt unberechenbar“, sagt sie zu Miloš, als wir dem ersten noch ein zweites haben folgen lassen. „Ich konnte mich kaum nach dir richten, nur als ganz lockere Verbindung.“
„War es zu kompliziert? Ich wollte bloß etwas ausprobieren.“
„Es ist gut. Wenn du das ab jetzt öfter machst, kann ich mich drauf einstellen, aber fang das bitte nicht an, wenn wir auf der Bühne improvisieren. Dann bin ich verloren.“
Er grinst. „Das Risiko werde ich nicht eingehen.“
Jetzt will ich was wissen. „Erklär mal, warum ich unbedingt ein Mikro haben musste.“
„Das war auch ein Experiment. Du wirst ab jetzt immer eins haben. Und mindestens im Refrain mitsingen.“
„Aha.“
„Ja. Singen ist nicht deine Hauptaufgabe, kann es nicht sein, denn du fühlst dich nicht gut damit. Das hast du mal gesagt, bevor Merle zu uns kam, und es ist okay. Musik soll Spaß machen. Aber die Band kann nicht auf deine Stimme verzichten. Du kannst dir aussuchen, ob du Text singst oder nur Töne machst. Aber ich will dich hören.“
Begeistert bin ich nicht – aber wenn’s der Musikwissenschaftler dieses Ensembles verlangt, versuche ich mich seinem Willen zu beugen. Bis jetzt haben sich alle seine verrückten Experimente gelohnt.

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