neunzigstes Kapitel
In der Schule ist langsam eine Art Alltag für die Kinder eingekehrt. Das Schreibenlernen schreitet voran, die kleinen Sprachschüler machen Fortschritte – die einen schneller, die anderen langsamer, aber wir haben noch kein Kind gehabt, das gar nichts gelernt hat. Das macht uns Mut, wenn es mal sehr langsam voran geht.
Auch die ganz Kleinen, die während der Sommerferien vier geworden sind, finden sich immer besser zurecht und offenbaren Stärken und Schwächen.
Das ist einer der Aspekte, die ich so an meinem Beruf liebe. Jedes Kind ist wie eine Wundertüte, du weißt vorher nicht, welche Überraschungen in ihm stecken.
Eine eher unschöne Überraschung bereitet uns unser Unterrichtshelfer Klaasjan. Er kennt sich gerade richtig in unseren Arbeitsabläufen aus und kann besser einschätzen, wie wir denken und daher (mit und ohne Aufforderung) mehr Pflichten übernehmen, da rückt er heraus, dass er sich den Beruf anders vorgestellt hat und kündigt. Drei Wochen nach Schuljahresbeginn! Hätte er nicht ein bisschen früher darauf kommen können?
Weil er natürlich noch mitten in der Probezeit war, ist er von einem Tag auf den nächsten nicht mehr da; wir konnten uns nicht darauf vorbereiten.
Neben den Fragen der Kinder haben wir uns vor allem um eine Frage zu kümmern: Woher kriegen wir möglichst schnell einen Ersatz?
Leider wachsen Unterrichtshelfer auch hier in Holland nicht auf den Bäumen und backen kann ich auch keinen. In der eilig einberufenen Konferenz mit den Kollegen der unteren Gruppen und der Schulleitung einigen wir uns so: Bis ein neuer Unterrichtshelfer gefunden ist, werden die beiden Unterrichtshelfer der Cirkelen und Vierhoeken ab sofort ein Drittel ihrer Zeit bei uns verbringen. Die Situation ist nicht ideal, aber so muss es gehen. Grietje und ich können uns nicht um alles kümmern und Shelley ist zwar sehr umsichtig und fleißig, aber wir wollen sie noch nicht mit den Kindern alleine lassen.
Eine Viertelstunde früher fahre ich los zur Bandprobe, weil ich Steven ja noch auf das Transportmittel-Problem ansprechen will, besser gesagt will ich es ansprechen, bevor es ein Problem wird.
Er ist in seinem Büro und ehe ich mit meinem Anliegen heraus rücken kann, nimmt er mich mit in die Backstube, wo wie immer um diese Uhrzeit noch einiger Betrieb ist. „Na, was macht das aufregende Leben als Rockstar?“, fragt er gut gelaunt.
„Ach, das verhält sich mittlerweile wieder recht verträglich. So ein hoher Adrenalinspiegel ist ziemlich anstrengend. Hör mal, ich wollte dich was fragen.“
„Rück raus.“
„Wir werden in Zukunft weitere Auftritte haben, es soll nicht bei den beiden in Hoorn und Almere bleiben. Wir haben ja auch schon vier neue Zusagen.“
„Wo geht’s denn dann hin?“, unterbricht er.
„Ende September nach Hoorn ins „Space Oddity“, eine Woche später nach Alkmaar zur Musikmesse, Ende Oktober nach Amsterdam in einen Club, dessen Namen ich aber immer wieder vergesse, irgendwas ausländisches … frag Miloš, der kann ihn sich merken … und im November noch einmal nach Amsterdam. Dann hat ein osteuropäisches Kulturzentrum sein zwanzigjähriges Jubiläum.“
„Sehr cool“, sagt er. „Früher war genau das mein Traum. Musik machen, eine Band haben, auf der Bühne stehen. Na ja, das hat sich nicht ergeben“, lenkt er ab, „Du wolltest gerade irgendwas fragen.“
„Ja, an den Auftritten hängt nämlich, dass du sicher nicht immer unser Fahrer sein willst oder kannst. Da wollte ich fragen, ob wir zu einer anderen Lösung mit deinem Transporter kommen können.“
„Na klar. Kann denn einer von euch das Teil fahren?“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen