sechsundachtzigstes Kapitel
Mitten in der Nacht bin ich in mein Bett gefallen und jetzt wache ich auf und habe keinen Schimmer, was die Tageszeit ist. Es ist völlig still in der Wohnung.
Ich bleibe noch einen Moment liegen und denke an gestern.
Mannomann, war das ein Tag! Das „Almere open air“ – danke Jesus, das war toll. Und aufregend. Und hinterher noch das intensive Gespräch mit Miloš – das war auch toll. Danke für so einen Freund. Und danke, dass meine Seele heil werden kann, weil die fiese Lüge über mich selbst endlich weg ist.
Auf dem Weg ins Bad werfe ich einen Blick aufs Werkstattsofa, das ich leer vorfinde. Kein Mitbewohner, kein Anzugträger, kein Bassist, kein Freund. Niemand da. Wo mag er sein?
Dann fällt mir ein: Wenn ich ihm nicht erlaubt habe, seine Freundin mit hierher zu bringen, wo wird er sein? Sicher irgendwo mit ihr … Ich merke, dass mich das sehr ärgert.
Jesus, bitte ich, kannst du die Eifersucht wegnehmen?
Kann ich, sagt er. Kannst du aber auch. Schick sie weg.
Ich teste meine göttliche Autorität, noch bevor ich zum Klo gehe: Eifersucht! Verschwinde und komm nicht wieder!
Die geschlossene Badezimmertür liefert das beste Argument gegen meine Vermutungen.(137)
„Brauchst du noch lange?“, will ich wissen.
„Gä“, erklingt es unartikuliert.
Demnach rasiert er sich gerade. „Willst du auch Frühstück?“
„Komm rein oder bleib draußen, aber quatsch mich nicht zu“, fordert er, ohne den Platz am Waschbecken zu verlassen.
Ich habe versucht, seine Rockmusiker-Ehre zu kitzeln, aber er lässt sich nicht davon abbringen: unrasiert geht er nicht aus dem Haus. Bisher habe ich nur eine Ausnahme erlebt, nämlich als er völlig verkatert aus Hoorn gekommen ist.(138)
Ich pinkle und betrete die Duschkabine, und nachdem er fertig ist mit seinem Ritual, komme ich auf meine Frage zurück: „Also, willst du Frühstück?“
„Hast du mal auf die Uhr geguckt?“, belustigt er sich, „Es ist Viertel nach drei!“
„Hast du denn schon was gegessen?“ Ich drehe das Wasser ab und nehme mein Handtuch vom Haken.
„Nein.“
„Dann setze ich Kaffee auf“, verkünde ich. Mein Kaffee geht immer.
Als wir beide auf dem Balkon sitzen und unsere Kaffee-Kuchen-Käsebrot-Mahlzeit verzehren, schiebe ich ein eingepacktes Geschenk in Buchformat über den Tisch zu Miloš hin.
„Oh“, bemerkt er mit vollem Mund, „ist das für mich?“
„Nur, wenn du heute Geburtstag hast.“
„Dann ist es für mich“, grinst er und begibt sich daran, das bunte Papier abzulösen. Im Gegensatz zu mir geht er sehr ordentlich vor, durchtrennt die Klebestreifen vorsichtig mit einem Messer und faltet abschließend das Papier zusammen.
„Oh“, macht er wieder und liest, was auf dem Buchdeckel steht, „danke. Aber warum schenkst du mir eine serbische Bibel? Die niederländische verstehe ich doch auch?“
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