29. November 2015

276

„Na ja, zum Beispiel wie Pieter und ich. Nicht solche Freunde, die man mal trifft und eine gute Zeit mit ihnen hat, sondern die man für schwere Entscheidungen braucht oder die einem die Meinung sagen.“
„Na sicher habe ich so einen. Der sitzt gerade neben mir und denkt komplizierte Sachen.“
„Und vor mir? Wir kennen uns ja noch nicht sehr lange, also gemessen daran, wie lang so eine Männerfreundschaft gehen kann.“
Er atmet tief durch. „Ja, ich hatte so einen richtigen besten Freund. Milan. Seine Eltern waren umgezogen und er kam in meine Schulklasse. Wir waren acht Jahre alt. Wir haben uns angeguckt und waren direkt Freunde. Wir haben eine Menge Blödsinn gemacht, wie Jungs das so tun und mit fünfzehn haben wir uns Blutsbruderschaft geschworen. Wir wollten uns nie verlassen. Milan und Miloš, haben sie immer gesagt, die kann nicht mal eine Frau auseinander bringen.“
Ja, beschließe ich, uns soll auch keine Frau auseinander bringen können. Dir zuliebe werde ich mich mit deiner Herzensdame abfinden. Wäre doch gelacht! Immerhin habe ich sechs Jahre mit Kristien ausgehalten!
Auf einmal ist der Container voll bleierner Stille. Ich gucke rüber zu Miloš und gucke in ein Gesicht wie aus Stein. „Was ist aus eurem Schwur geworden?“, frage ich, weil er gar nichts mehr sagt.
„Er hat den Krieg nicht überlebt.“
„Oh Gott“, murmele ich, und nach einer Weile: „Willst du es mir erzählen?“
„Nein, ich will nicht.“ Er räuspert sich, steht auf und geht an das Fenster, obwohl es draußen längst dunkel ist. „Aber es hat mit fast allen Sachen in meinem Leben zu tun, deswegen sollst du es wissen. Meine eigenen Leute haben ihn umgebracht, Serben. Milan war Bosnier.“
Mir bleibt die Luft weg. Er weiß, wer den besten Freund getötet hat, womöglich kennt er die Leute auch noch persönlich! Wie oft hat er den Alptraum wieder und wieder durchlebt?
„Deswegen will ich nicht mehr nach Peckovar. Ich würde die wieder treffen, die meinen besten Freund umgebracht haben. Ich weiß, wer es war, und wenn ich damals dabei gewesen wäre, hätten sie mich wahrscheinlich gleich mit erschossen. Keine Ahnung, was ich mit ihnen machen würde. Ich habe lange gekämpft um … na ja, um das Leben. Mal wollte ich tot sein, wollte bei ihm gewesen sein … dann wollte ich zurück und sie alle abknallen … und dann wollte ich ganz weit weg sein. Immer hin und her. Ohne Pause, auch im Schlaf, wenn ich schlafen konnte.“
„Hast du deswegen gesoffen?“
„Nein, dann wäre ich längst ein Wrack. In Peckovar gab es einen Mann, der gesoffen hat. Es war furchtbar, vor allem für seine Frau und die Kinder. So wollte ich nicht werden. Ich habe Sport gemacht, bis zum Umfallen. Wenn du fertig genug bist, träumst du nichts mehr. Ich wollte weglaufen, aber es hat nicht geklappt.“
Miloš – mein starker, unerschütterlicher Kumpel … Freund, verbessere ich mich in Gedanken – und weglaufen? Das macht mich fassungslos.
„Und … was versuchst du jetzt?“
„Nichts mehr.“ Er geht zurück zum Sofa und schaut glücklich. „Es hat aufgehört. In der Nacht vom dritten auf den vierten August.“
Am dritten August hat er mich nach meinem geheimnisvollen Gott gefragt. Jesus hat ihn als allererstes von dieser schrecklichen Last befreit. Danke, Jesus.

Keine Kommentare: