29. November 2015

274

Er hat noch mehr auf Lager. „Und als du ihr langweilig warst, hat sie versucht, dich zu reizen und aus der Reserve zu locken, damit du dich wehrst und wieder Feuer in die Beziehung kommt. Sie hat dich mies behandelt und dir gesagt, du seist unreif und würdest dich wie ein Fünfjähriger aufführen.“
Unreif!? Deswegen ist mir Coras blöde Bemerkung so lange nachgelaufen!!
„Nichts von diesen Dingen zeigt, dass du leicht manipulierbar wärst, sondern es zeigt nur, dass sie keinen Respekt vor dir und deinen Ansichten hatte. In so einem Fall reichen ein paar weibliche Waffen, und der Mann liegt ihr zu Füßen. Es ist gut, dass wir darüber geredet haben, ich bin jetzt vorgewarnt.“ Er leert seine Bierdose und drückt sie zu einem Puck zusammen. „Auch noch eins?“
„Hab noch“, murmele ich abgelenkt.
Ein gutes Gefühl breitet sich weich und warm in meiner Seele aus. Wie ein Sonnenaufgang nach sehr langer Nacht. Auf einmal verstehe ich nämlich, was in der Beziehung falsch war – und was mir bis heute immer wieder weh tut. Obwohl wir uns versöhnt haben. Nicht ich war willensschwach und habe versagt, sondern sie war rücksichtslos. Meine einzige wirksame Strategie dagegen war, dagegen zu sein. Sie wollte heiraten und dann Kinder bekommen, und ich habe mich so lange verweigert, bis schließlich die Beziehung daran zerbrochen ist. Passiver Widerstand ist oft ein Zeichen von Hilflosigkeit und Überforderung.
Weil ich das nicht verstanden hatte, habe ich mir eingeredet, willensschwach zu sein, denn alles auf der Welt verlangt nach einer Erklärung. Diese Erklärung hat zusätzlich wehgetan. Wer will schon willensschwach sein?

Als meine Dose schließlich auch leer ist, frage ich: „Und jetzt noch mal zum Anfangsthema: Warum meinst du, dass wir in eine größere Wohnung ziehen sollten?“
„Wir würden uns nicht mehr so leicht auf die Nerven gehen. Wir sind beides Leute, die nicht gerne alleine sind … ich zum Beispiel habe noch nie alleine gewohnt, früher waren meine Eltern da und eine Oma oder noch mehr Verwandte, und im Krieg und danach waren immer viele Leute in zu kleinen Zimmern untergebracht, weil viele Häuser kaputt waren … ich weiß gar nicht, was ich alleine in einer Wohnung machen würde, außer vielleicht ungesund leben. Und was sollte ich in diese Wohnung hineinstellen? Ich habe ja nicht mal ein eigenes Bett. Aber deine Wohnung ist zu klein für zwei. Mit Cokko ging das, weil es euch nicht gestört hat, in einem Zimmer zu pennen. Immerhin seid ihr Brüder. Aber ich penne in deinem Werkstatt-Wohnzimmer, und sofort ist die ganze Wohnung voll.“
„Hm“, mache ich unentschlossen. Miloš ist nun schon der zweite binnen 24 Stunden, der von den Vorteilen einer größeren Wohnung redet. Ob er sich mit Merle abgesprochen hat?
Allerdings hat sie recht, die Zimmeraufteilung ist in der Tat unpraktisch. Der lange Flur, der von der Eingangstür um das halbe Bad bis zur Küchentür führt, ist ein fensterloser Schlauch, der nur meinem Vorratsregal und den Kochbüchern Heimat bieten kann, für alles andere ist er zu eng. Das Bad hat ebenfalls kein Fenster, es ist vor ungefähr zwanzig Jahren nachträglich eingebaut worden und ständig besteht die Gefahr von Schimmel; vor allem wenn mal wieder die Abluftanlage streikt. Das Schlafzimmer ist klein, ausgerechnet die Küche(135) noch kleiner und die Werkstatt mit Sofa ungefähr doppelt so groß. Von dort kommt man auf den Balkon, der vor fünf Jahren an die Hinterseite des Hauses angebaut wurde. Er ist kaum breiter als der Flur und somit auch ziemlich ungeeignet für alles außer Wäscheaufhängen.

Von der Bühne kommt gerade nicht viel herüber, wahrscheinlich hat Alan Poutsma seine Klangprojekte pünktlich beendet und der Umbau für „Star-Club“ läuft. Die drei reifen Herren sehen aus wie Brüder von ZZ-Top und machen auch so kernige Biker-Rockmusik. Live sind sie noch besser, wie ich beim Soundcheck heute Nachmittag feststellen durfte. Normalerweise bin ich solchen Rhythmen nicht abgeneigt(136), aber für heute reicht es mir. Vermutlich werde ich hier in der Garderobe sitzen bleiben, bis wir nach Hause fahren. Die Instrumente sind schon im LKW drin, das haben die Leute vom Bühnenteam für uns erledigt. Beim Aufbau wollten wir helfen, aber sie haben gesagt, dass sie ohne uns schneller sind.

Keine Kommentare: