Es folgen zwei alte, ein neues und noch ein altes Lied, dann kommt wieder der spannende Moment, in dem Merle sich zu mir umdreht und mich erwartungsvoll anguckt.
Selbst wenn ich wollte – ich könnte nicht sitzen bleiben. Es steht mich auf, ich nehme meine alte Gitarre vom Ständer neben dem Schlagzeug und hänge sie mir um, während ich im Licht der schon schräg stehenden Sonne bis nach vorne an die Bühnenkante gehe.
Miloš bringt mir das dritte Mikro.
Meine Hände sind schweißnass, das Herz klopft fast schneller als ich trommeln kann und es ist gut, dass mir die Sonne die Sicht einschränkt. Manchmal ist es besser, nicht alles zu wissen und zu sehen.
Ich räuspere mich; dummerweise mitten ins Mikro. Wer bis jetzt geschlafen hat, dürfte nun wach sein.
„Ein sehr guter Freund hat vor gar nicht langer Zeit gesagt, dass ich ein Geheimnis aus meinem Glauben machen würde. Und dass er alle möglichen anderen Leute fragen müsse, um etwas von Gott zu erfahren. Ich denke allerdings, wenn ich wirklich ein Geheimnis aus meinem Glauben gemacht hätte, hätte er nie angefangen, darüber nachzudenken und andere Leute dazu zu befragen.
Jedenfalls möchte ich kein Geheimnis mehr aus meinem Glauben machen. Der Kern meines Glaubens ist, dass ich weiß, dass Gott mein Freund ist. Er liebt mich. Er ist kein böser und grimmiger Gott, der im Himmel hockt und meine Fehler zählt, sondern er meint es gut mit mir. Und ich brauche seine Liebe. Darum geht’s im nächsten Lied. Ich habe es mir von unseren Kollegen von U2 ausgeliehen.“ Ich räuspere mich wieder und in einem Anfall von Geistesgegenwart decke ich dieses Mal das Mikro mit der Hand ab.
„Like a desert needs rain, like a town needs a name – I need your love.
Like a drifter needs a room, Hawkmoon – I need your love.
Like a rhythm unbroken, like drums in the night, like sweet soul music, like sunlight – I need your love. I need your love!
Like coming home, and you don't know where you've been, like black coffee, like nicotine – I need your love. I need your love! I need your love!“
Ich vergesse alles um mich herum. Jetzt gibt es nur mich und Gott (und die Gitarre). Keine Bühne, keine Kameras, keine Band, keine Menge von vielleicht zweihundert Leuten, kein Lampenfieber. Das Lied ist nur für ihn.
Irgendwann weckt mich tosender Beifall aus der Trance und bevor unberechenbare Dinge passieren, verziehe ich mich zurück hinter meine Trommeln.
„Leider gibt es nur das eine Lied von Jeremy“, höre ich Merle zum Publikum sagen. „Andererseits ist das unser Glück. Er könnte nämlich mit ein bisschen Übung jedes unserer Instrumente … außer das Akkordeon … irgendwie übernehmen, aber keiner von uns kann so geil trommeln wie er. Deswegen ist es gut, dass er seine Berufung in der Rhythmusabteilung unserer Band sieht.“
Unterbrochen von kurzen Ansagen rauschen wir durch unser restliches Set und verlassen nach vierundvierzig Minuten die Bühne, nachdem wir unsere Zuhörer auf unsere Internetseite hingewiesen haben und welche Bewandtnis die hübschen grünen T-Shirts haben.
Das Publikum will mehr hören.(133)
Nach einer Kunstpause kommen wir also wieder und geben den Leuten nach einer Sprachschule die Balkan-Hochzeit mit allen dreizehn Strophen sowie den irischen Reisesegen mit auf den weiteren Lebensweg. Dann ist unsere Stunde um und wir treiben auf einer Welle von Applaus in unsere Garderobe.
Zuerst reden alle durcheinander, dann sinkt einer nach dem anderen auf die Sofas und Ruhe kehrt ein. Schließlich sagt Lisanne: „Wenn mir gestern einer gesagt hätte, dass du dich das traust, hätte ich ihn ausgelacht. Tut mir leid, dass ich so schlecht über dich gedacht habe.“
„Macht nichts“, seufze ich ebenso zufrieden wie ausgelaugt.
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