29. November 2015

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„Wäret ihr wohl so freundlich mich aufzuklären?“, bittet Lisanne.
„Wir nehmen an, dass es sich bei dieser Freikartendame um eine gewisse Helena handelt“, orakelt Merle.
„Helena Smid?!“, fragt sie mich ungläubig.
Ich nicke. „Scheint so, dass sie auf Musiker steht, die grüne T-Shirts mögen.“
„Wenn das schon alles ist, was dir an Gemeinsamkeiten einfällt, hätte ich noch was hinzuzufügen“, sagt Merle. „Zum Beispiel dass ihr beide echt korrekte Kerle seid. Und dass ihr beide sehr angenehme Gesellschaft seid. Und dass ihr beide an etwas glaubt, das ich nicht verstehe, aber durch eure Art hab ich im letzten Monat eine ganze Menge davon kapiert.“
Nicht schon wieder! Das scheint der Sommer der sentimentalen Szenen zu sein.
Ablenkung naht in Gestalt von Miloš und seiner laubgrünen Freikartendame. Beide haben das gleiche selige Lächeln auf dem Gesicht.
Jetzt fasst er ihre Hand und zieht sie mit zu mir. „Ich möchte dir meinen besten Freund vorstellen“, sagt er ihr. „Jeremy van Hoorn. Vielleicht hast du schon von ihm gehört, er ist der beste Trommler der Stadt.“
„Ja, von dem habe ich in der Tat gehört“, sagt sie und stellt sich vor: „Ich bin Helena.“
Nach einer nicht weniger förmlichen Begrüßung meinerseits gehe ich mit Miloš ein paar Meter beiseite. „Du wolltest es mir als Erstem sagen“, deute ich leise an, dass ich mich übergangen fühle.
„Du bist der erste, der es erfährt“, erwidert er genauso leise. „Wir sind seit gestern Abend zusammen. Als ich nachts nach Hause kam, hast du schon geschlafen. Heute früh war keine Zeit, und ich wollte es nicht im Transporter sagen und auch nicht, als Rinus uns herumgeführt hat“, entschuldigt er sich. „Und eben waren andere Dinge wichtiger.“
Ich nicke. „Hast du mich wegen ihr vorgestern gefragt, wie Jesus über Sex denkt?“
„Nein. Ja. Also, das hat sich so ergeben. Ich habe nicht wegen Helena gefragt, sondern wegen mir. Aber wegen ihr hab ich schon ein bisschen öfter als sonst drüber nachgedacht.“
„Kann ich verstehen, du hast da einen echt heißen Feger erwischt“, grinse ich.
„Pass auf, was du über meine Freundin sagst“, pöbelt er mich lachend an.


fünfundachtzigstes Kapitel

Wir beginnen genau wie bei unserer Generalprobe, mit dem Unterschied, dass der Kinderkrach länger dauert, weil die Bühne größer ist und somit die Wege zu unseren Plätzen weiter. Mir ist ein bisschen mulmig zumute, als ich die Menschenansammlung vor der Bühne sehe. Ich bin nicht gut im Schätzen, aber das könnten so an die hundert oder zweihundert Leute sein. Dann konzentriere ich mich auf meine Arbeit: das Donnerdrummel-Rhythmuskorsett aufzurichten. Wir haben das Wort so oft gesagt und mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass Steven eines Tages nachgefragt hat, wo der Begriff herkommt, er habe in einem Musiklexikon und im Internet gesucht und nichts darüber gefunden. Scheint so, dass wir stilbildend sind! Aber das ist Gottes Auftrag an uns Menschen: Macht euch die Erde untertan und gestaltet sie nach euren Vorstellungen.
Das halbe Korsett steht, Miloš tauscht Tröte und Schellenkranz gegen seinen Bass.

Von meinem etwas zurückgesetzten Platz auf dem Schlagzeugpodest bekomme ich nicht alles mit, was vorne passiert, aber spätestens nach dem ersten Lied und Merles bewegungsintensiver Show wogt vor der Bühne ein Pulk begeisterter Leute.
Nach dem zweiten Lied stellt Lisanne uns vor und sagt ein paar Sätze zu uns. Diesmal gilt ihr Dank dem Radiosender Delta 3000 und Carlos van Hoogedonk, ohne den wir jetzt nicht hier wären.

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